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Autark leben - Möglichkeiten und Grenzen

Selbstversorgung im Einfamilienhaus: Geht das überhaupt? Klar ist: Vollständig autark lässt sich heute kaum oder nur mit massivem Verzicht leben. Doch ist es möglich, unabhängiger zu werden. 

Text — Tanja Seufert


100 PROZENT SELBSTVERSORGEND?

Das findet sich hierzulande höchstens noch auf einem Bergbauernhof ohne Strom und fliessend Wasser – ein sehr einfaches Leben. Und auch als Selbstversorger ist man auf andere angewiesen, sei es für einen ausgewogene Speisezettel oder für ausreichend Brennholz, um zu kochen und das Haus warm zu halten. Bei aller Blockhüttenromantik: Echte Selbstversorgung ist, seit der Mensch Landwirtschaft betreibt, eine Illusion. Woher kommt das Werkzeug, um das Haus instand zu halten? Wer stellt Pfannen, Gummistiefel oder Wundpflaster her? Was, wenn ein Unwetter die Ernte zerstört oder man sich bei der Arbeit ein Bein bricht? Zwar gibt es in der Schweiz Selbstversorger wie zum Beispiel «Das Neue Dorf» oder Bauernhof-WGs, doch auch diese Gemeinschaften brauchen Utensilien, Werkzeuge und Treibstoffe, die sie nicht selbst herstellen können. 

INFO

DIE SCHWEIZ KÖNNTE SICH SELBST ERNÄHREN

Die landwirtschaftlichen Flächen der Schweiz könnten die Selbstversorgung der Bevölkerung mit bis zu 2340 Kalorien pro Einwohner und Tag erlauben – das zeigen Modellrechnungen von Agroscope im Auftrag des Bundesamtes für wirtschaftliche Landesversorgung. Dieser Wert liegt zwar unter dem heutigen Konsum von 3015 Kalorien, aber oberhalb der meisten Richtwerte der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung. Die Selbstversorgung – eine so genannte autarke Ernährung – würde bedingen, dass wir unsere Ernährungsgewohnheiten anpassen. Der Konsum von Schweine- und Geflügelfleisch oder Eiern würde dann eine verschwindend kleine Rolle spielen. Dagegen würden deutlich mehr Backwaren und mehr Kartoffeln als heute konsumiert. Weil auch der Frischmilchkonsum ausgedehnt würde, würden alle verfügbaren Grünlandflächen genutzt, um Milch zu produzieren.
Quelle: Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL)

HOHE ABHÄNGIGKEIT IN EINEM KOMPLEXEN SYSTEM

Um zu überleben, wohnen Menschen seit jeher in Gemeinschaften, in denen sie unterschiedliche Produkte und Dienstleistungen erbringen und Handel mit anderen treiben. Das hat sich bis heute nicht geändert. Doch in modernen Gesellschaften ist der Einzelne von anonymen Institutionen und Unternehmen abhängig, und dies alles innerhalb eines hoch komplexen, globalen Wirtschaftssystems. Wie der Strom in die Steckdose und das Lachsfilet in den Kühlschrank kommt, weiss man nicht so genau – und beeinflussen lässt es sich nur begrenzt.

Nicht erst seit Covid-19 und dem Krieg in der Ukraine möchten sich Menschen von globalen Lieferketten emanzipieren – zumindest ein Stück weit. Doch was ist für die durchschnittliche Schweizer Familie überhaupt möglich und sinnvoll?

 

ERNÄHRUNG: DIE SACHE MIT DEN MAKRO- UND MIKRONÄHRSTOFFEN

Auch mit Ackerland ist es nicht einfach, für ausreichend Nahrung zu sorgen. Denn von Zucchetti, Bohnen und Salat allein wird man nicht satt. Rund 2000 Kilokalorien braucht eine Frau durchschnittlich pro Tag, etwa 2500 ein Mann. Je nach Alter und Aktivitäten können es erheblich mehr oder auch etwas weniger sein. Eine ausgewogene Ernährung setzt sich zusammen aus Makronährstoffen – Proteinen, Kohlenhydraten und Fetten – sowie Mikronährstoffen, sprich Vitaminen, Mineralien und Spurenelementen. So empfiehlt das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) gesunden erwachsenen Personen unter 65 Jahren, täglich 0.83 Gramm Eiweiss pro Kilo Körpergewicht zu sich zu nehmen. Ein 70 kg schwerer Mann zum Beispiel sollte also im Schnitt 58 Gramm Protein zu sich nehmen. 45 bis 60 Prozent der täglichen Energieaufnahme sollten zudem aus Kohlenhydraten bestehen und zwischen 20 und 35 Prozent aus Fetten.

DER EXPERTE

Thomas Jäggi 
Schweizer Bauernverband

«DIE EINFACHSTE MÖGLICHKEIT SIND HÜHNER ODER KANINCHEN»


Herr Jäggi, welche Nutztiere darf ich als Privatperson in meinem Garten überhaupt halten? 
Die private Tierhaltung beschränkt sich realistischerweise auf Hühner, Kaninchen und Bienen. Denn für die Nutztierhaltung gelten umfangreiche Vorgaben der Tierschutzgesetzgebung, der Tierseuchengesetzgebung, der Gewässerschutzgesetzgebung sowie der Lufteinhaltung und der Raumplanungsgesetzgebung. Das schränkt ein, was am jeweiligen Standort oder auf der jeweiligen Liegenschaft überhaupt möglich ist.  Für den Tierschutz ist die Tierschutzverordnung SR 455.1 massgebend (siehe Links). Jede Nutztierhaltung (inkl. Hobbyhaltung) muss den kantonalen Veterinärbehörden gemeldet werden. 

Die eierlegende Wollmilchsau gibt es leider nicht – mit welchem Tier bereichere ich meine Speisekammer besonders gut?
Die einfachste Möglichkeit sind Hühner oder Kaninchen. Beide sind relativ klein und brauchen nicht sehr viel Platz. Solange der Bestand überschaubar ist, fällt auch nicht übermässig Mist an, der gut kompostiert werden kann – oder der Mist wird an einen Bauern in der Nachbarschaft abgegeben. 

Hühnerhaltung: Was ist erlaubt?
Auch da müssen die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. Neben dem Tierschutz ist hier die Einhaltung der Tierseuchengesetzgebung besonders wichtig. Gerade in diesem Winter galten wieder Einschränkungen, damit die Vogelgrippe sich nicht ausbreitet. Ist ein Güggel dabei, kann es noch zu Problemen wegen Lärmbelästigung der Nachbarschaft kommen. 

Welche Hühnerrassen eignen sich besonders gut für den privaten Garten?
Das kommt darauf an, was man möchte: Eier, Fleisch oder beides. Informationen sind beim Verband Kleintiere Schweiz erhältlich: kleintiere-schweiz.ch.

Tiere selbst töten: Darf ich das?
Grundsätzlich nicht. Auch da gilt die Tierschutzverordnung, im Speziellen die Vorgaben ab Art. 177: Schlachten dürfen nur fachkundige Personen. Erfahrene Personen können allenfalls von der Regelung in Art. 193, Abs. 3 TschV profitieren, sofern sie eine amtliche Bestätigung über die mindestens 3 Jahre Erfahrung im fachgerechten Töten von Kaninchen oder Geflügel haben. 

Lebensmittel selbst herstellen: Darf ich z.B. Marmelade auch verkaufen oder tauschen?
Marmelade, Konfitüre oder andere verarbeitete oder unverarbeitete pflanzliche Produkte können Sie selbst herstellen und auch verkaufen oder verschenken. Beim Inverkehrbringen (Verkaufen oder Verschenken) sind verschiedene gesetzliche Vorgaben einzuhalten, unter anderem zur Lebensmittelhygiene. Die nötigen Investitionen lohnen sich erst, wenn Sie mehr als nur ein paar Konfigläser verkaufen möchten. Bei Produkten tierischer Herkunft muss man ausserdem die Schlachttier- und Fleischkontrolle durch den kantonalen Veterinärdienst durchführen lassen. Nur für den Eigengebrauch können Tiere ohne diese Kon-
trollen geschlachtet werden. Das Fleisch darf aber nicht weitergegeben werden, auch nicht kostenlos. Lässt man die Tiere in einem Schlachtbetrieb schlachten, sind diese Kontrollen in der Regel in der Dienstleistung enthalten. 

Obst selber zu Schnaps verarbeiten: Ist das überhaupt erlaubt?
Dazu bräuchten Sie eine Brennlizenz sowie eine sehr teure Einrichtung. Früchte können aber selbst eingemaischt werden. Das Brennen der Maische kann dann ein Lohnbrenner übernehmen, der über das entsprechende Fachwissen und die Einrichtung zum Brennen verfügt. Der Lohnbrenner kennt auch die gesetzlichen Regeln und wird beim Ausfüllen der Brennkarte, die zur Deklaration für die Bezahlung der Alkoholsteuer nötig ist, behilflich sein. Damit ist auch erwähnt, dass beim Hochprozentigen die Alkoholsteuer zwingend zu bezahlen ist. 

WIE VIEL ACKERFLÄCHE BRAUCHEN SELBSTVERSORGER?

Wie viel Fläche pro Person nötig ist, um sich selbst zu ernähren, hängt von vielen Faktoren ab. Wie fruchtbar ist der Boden? Wie ist der Boden beschaffen? Welches Klima herrscht? So finden sich kaum verlässliche Angaben, wie viele Quadratmeter Acker- und/oder Weidefläche tatsächlich erforderlich wären – doch für Hobby-Selbstversorger spielt dies keine Rolle, da sie in der Regel mit der Fläche klarkommen müssen, die sie sich leisten können. Ideal für einen Gemüsegarten ist eine Fläche von mindestens 100 m2. Darauf lassen sich Gemüse, Beeren und vielleicht sogar Kohlenhydratlieferanten wie Kartoffeln, Mais und Getreide anbauen. Wer sich auch mit Proteinen versorgen möchte, sollte pflanzliche und wenn möglich auch tierische Proteinquellen einplanen. Ersteres in Form von Hülsenfrüchten, letzteres mit Hühnern oder Kaninchen (siehe auch Interview). Wer selbst Öl – zum Beispiel Sonnenblumen- oder Rapsöl – herstellen möchte, braucht auch Fläche für Ölpflanzen.

 

SELBSTVERSORGUNG BRAUCHT VIEL KNOW-HOW UND EINSATZ

Ein (teilweise) autarkes Leben erfordert enormes Fachwissen über Landwirtschaft (zum Beispiel Permakultur, siehe Seite 22), Tierhaltung und das Konservieren von Lebensmitteln. Dieses Wissen lässt sich nicht einfach theoretisch gewinnen, sondern vor allem durch Praxis. Bis das Unternehmen «Selbstversorgung» auf soliden Beinen steht, müssen viele Erfahrungen – und Misserfolge – gesammelt werden, von der Schneckenplage über Pflanzen- und Tierkrankheiten bis zum Schimmel in Einmachgläsern. Und: Selbstversorgung geht nicht nebenbei, sondern ist ein Fulltime-Job. Im Frühjahr stehen Aussaat und Aufzucht an, im Sommer und Frühherbst ist Erntezeit – an Ferien ist dann nicht zu denken. 

INFO

GEHT’S AUCH OHNE GELD?

Leider nicht! In der Schweiz ist zum Beispiel die Krankenversicherung obligatorisch, und auch Steuern müssen bezahlt werden. Die meisten Annehmlichkeiten des modernen Lebens sind mit Kosten verbunden – vom Auto über die Bekleidung bis zum Telefon. Ums Geldverdienen, sei es durch Erwerbsarbeit und/oder den Verkauf von Produkten, kommen also auch Selbstversorger nicht herum.

ENERGIE UND WASSER – WAS IST MACHBAR?

Wer nicht gerade wie die Pfahlbauer leben will, braucht fliessend Wasser und Energie. Ist hier eine vollständige Unabhängigkeit überhaupt möglich? Theoretisch ja – praktisch weniger: Wer sich mit Photovoltaik ganzjährig selbst mit Strom versorgen möchte, benötigt eine grosse Solarzellenfläche und leistungsfähige Batterienspeicher. Auch die Wasserversorgung lässt sich nicht ohne weiteres übernehmen: Wer nicht gerade eine eigene Quelle auf dem Grundstück hat, ist auf die öffentliche Infrastruktur angewiesen. Doch lässt sich durch Regenwasseraufbereitung ein Stück Unabhängigkeit erlangen. Ein guter Anfang ist schon gemacht, wer den Garten mit Regen- statt Leitungswasser bewässert.

Grundsätzlich gilt: Wer saniert oder gar neu baut, sollte auf eine energieeffiziente Bauweise – etwa den Minergie-Standard – setzen. Je weniger Energie für Heizung, Warmwasser und Elektrogeräte ein Haus benötigt, umso unabhängiger ist man von den steigenden Energiekosten.

 

FAZIT: EIN STÜCK SELBSTVERSORGUNG IST MÖGLICH

Mit etwas Umschwung und ausreichend Zeit lässt sich zumindest teilweise unabhängig leben. Für die meisten realistisch sind Gemüse- und Obstanbau, eventuell Hühnerhaltung und ein Zustupf für die Energie- und Wasserversorgung, etwa in Form einer PV-Anlage und Regenwasseraufbereitung.


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