Heilsbringer Elektromobilität?
Die Rettung liegt im Elektromotor: Bald werden wir uns alle CO2-neutral von A nach B bewegen – wann immer wir wollen. Oder?
Text — Raphael Hegglin
Eine Revolution ist im Gange: Vergangenes Jahr war der Tesla Model 3 das meistverkaufte Auto der Schweiz. Zum ersten Mal befindet sich damit ein Elektroauto auf Platz 1 der Hitparade aller Neuzulassungen. Geht es nach der EU, soll das erst der Anfang sein. Sie will ab 2035 keine Neuwagen mit Verbrennungsmotor mehr zulassen. Schon bald fahren wir also elektrisch in eine umweltfreundliche und CO2-neutrale Zukunft.
Doch es werden immer mehr kritische Stimmen hörbar: Im Zuge der Energiewende den Strombedarf zusätzlich zu erhöhen, erschwert – oder verunmöglicht – den vollständigen Wechsel auf erneuerbare Energie. Auch erzeugen Schnellladesysteme für Elektroautos Spitzenlasten, mit denen unser bestehendes Stromnetz nicht fertig wird. Zudem stecken auch in einem Elektromobil viel graue Energie und jede Menge Rohstoffe. Egal also, ob Elektroauto, E-Bike oder Strom-Töff: Zahlreiche Details entscheiden darüber, wie umweltfreundlich sie sind.
ELEKTROMOTOR KAM VOR VERBRENNER
Der Fortschritt der Elektromobilität ist vor allem von zwei technischen Komponenten abhängig: dem Elektromotor und dem Akku. Erstgenannter ist alles andere als neu. So hat bereits der Benediktinermönch Andreas Gordon um 1750 mittels Elektrizität Metallsterne drehen lassen. Physiker in ganz Europa forschten in den folgenden Jahren weiter. 1838 stattete Herman Jacobi ein Boot mit einem Gleichstrom-Elektromotor aus und stach mit 11 Passagieren an Bord in See. 1881 präsentierte Gustave Trouvé auf der Internationalen Strommesse in Paris der Welt schliesslich das erste Elektroauto. Erst fünf Jahre später brachte Carl Benz 1886 seinen Patent-Motorwagen Nummer 1 mit Verbrennungsmotor heraus!
Der Siegeszug des Elektroantriebs liess trotzdem über 100 Jahre auf sich warten – jedenfalls im Bereich des Individualverkehrs. Das hat einen einfachen Grund: Ausreichend leistungsfähige – sowie bezahlbare – Akkus gibt es erst seit einigen Jahren. Und nach wie vor sind heute Akkus der grösste Knackpunkt der Elektromobilität. Reichweiten von über 500 km mit einer Ladung bleiben für ein Elektroauto rekordverdächtig. Hinzu kommen die negativen Umweltaspekte von Akkus (siehe auch «Der Akku im Fokus»).
INFO
FAHREN MIT EIGENEM STROM
Photovoltaik boomt. Mit den heute verfügbaren Anlagen können Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer günstig Strom produzieren. Allerdings: Der Preis, den die Elektrizitätswerke dafür bezahlen, ist in der Regel tiefer als die Gestehungskosten. Lohnend ist eigener Solarstrom nur, wenn man ihn selbst nutzt. Das ist nicht immer einfach: Der meiste Strom fällt tagsüber an, dann soll er verbraucht werden – oder er wird gespeichert. Letzteres geschieht mit Batteriespeichern, die ihren Preis haben. Oder man lädt damit sein Elektrofahrzeug. Das setzt allerdings voraus, dass dieses tagsüber oft zu Hause steht. Pendlerinnen und Pendler müssen ihr Elektrofahrzeug hingegen über Nacht laden, sie benötigen daher einen Batteriespeicher. Wer sein Fahrzeug nicht den gesamten Tag über oder nicht jeden Tag benötigt, fährt mit dem selbst produzierten Solarstrom allerdings günstig und umweltfreundlich.
DARAUF KOMMT ES AN
Noch sind elektrisch betriebene Autos, Motorräder, Velos und Spezialfahrzeuge nicht per se umweltfreundlich. Doch sie haben das Potenzial dazu – im Gegensatz zu Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor. Was genau macht ein Elektrofahrzeug umweltfreundlich oder nicht?
Stromart: An erster Stelle steht der Strom, mit dem ein Elektrofahrzeug geladen wird und fährt. Nur wenn dieser aus einer erneuerbaren Energiequelle wie Wasserkraft oder Photovoltaik stammt, kann das Elektrofahrzeug umweltmässig punkten. Kommt der Strom hingegen aus einem Kohlekraftwerk, so wird die Ökobilanz eines elektrisch betriebenen Fahrzeugs so schlecht wie jene eines Fahrzeugs mit einem Verbrennungsmotor.
Akku: Heute gelangen hauptsächlich Lithium-Ionen-Akkus zum Einsatz. Der weltweite Bedarf der Elemente Lithium und Kobalt ist dadurch enorm gestiegen. Ihr Abbau schädigt die Umwelt wie auch die in den Minen arbeitenden und in der Gegend lebenden Menschen. Nur mit strengen gesetzlichen Richtlinien zum Schutz von Mensch und Umwelt können Akkus nachhaltiger werden. Und ebenso wichtig: das Recycling. In Pilotanlagen lassen sich bereits über 90 % der eingesetzten Elemente zurückgewinnen, in der Praxis sind es weniger als 50 %.
Graue Energie: Auch in einem Elektrofahrzeug steckt graue Energie. Das ist jene Energie, die für seine Herstellung (inklusive Gewinnung der Materialien), die Lagerung und den Transport in die Verkaufsstelle aufgewendet werden muss. Die graue Energie soll ebenfalls in die Ökobilanz einfliessen. Wird zum Beispiel ein Elektroauto mit Strom aus einem Kohlekraftwerk hergestellt und ein gleich grosser Benziner mit Ökostrom, dann ist fraglich, welches der beiden Fahrzeuge weniger schädlich für die Umwelt ist. Oder anders gesagt: Nicht nur das Fahrzeug, sondern auch seine Herstellung muss umweltfreundlich sein.