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Metaverse

Das Metaverse ist keine Parallelwelt mehr, sondern es beeinflusst unseren Alltag zunehmend. Dr. Daniel Diemers über Chancen, Hoffnungen und Gefahren.

Interview — Raphael Hegglin

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Dr. Daniel Diemers
hat zum Thema «Wissensaustausch in virtuellen Gemeinschaften» an der Universität St. Gallen HSG promoviert. Im Jahr 2022 hat er die Swiss Metaverse Association (SMA) mitgegründet, welche sich mit den Herausforderungen und Chancen dieser Technologie auseinandersetzt.

«DAS METAVERSE IST BEREITS DA, WIR SOLLTEN UNS INTENSIVER DAMIT BESCHÄFTIGEN»

 

Wie würden Sie das Metaverse in einfachen Worten jemandem erklären, der noch nie davon gehört hat?
Man darf sich das Metaverse als eine Vielzahl digitaler Welten vorstellen, die von mehreren Usern besucht werden können und wo Interaktion und Kommunikation im Vordergrund stehen. Frühere, geläufige Begriffe dafür waren Matrix, Cyberspace oder virtuelle Welten. Doch das Metaverse wird – anders als frühere Vision – aus zahlreichen bunten und vielfältigen Welten bestehen. Einige privat, andere öffentlich, von spielerisch bis ernsthaft, bis hin zu grossen kommerziellen Umgebungen, mit denen Geld verdient wird.

Was braucht man, um in das Metaverse einzutauchen? Welche Technologie wird benötigt?
Am wichtigsten ist eine gute Internetverbindung, denn dreidimensionale Computerwelten bedeuten grossen Datenmengen. Ansonsten genügt ein Tablet oder Computer. Noch immersiver sind Geräte wie Virtual Reality-Brillen oder bald auch normal aussehende Alltagsbrillen, die über eine Folienschicht und etwas eingebauter Elektronik Computerbilder einblenden. Man spricht dann von Augmented Reality: die Vermischung der physischen Welt mit digitalen Welten und Informationen.

Wie wird sich das Metaverse Ihrer Meinung nach in den nächsten Jahren entwickeln?
Persönlich und als Vertreter der Swiss Metaverse Association stehen wir dieser Entwicklung grundsätzlich positiv gegenüber. Der technische Fortschritt macht keine Pause, das haben die letzten zwanzig Jahre eindrücklich gezeigt. Wer einst auf einem Commodore 64 dreidimensionale Bilder bewundert hat oder in den Anfängen des Internets das erste Mal ein Buch bestellt hat und dieses auch geliefert bekam, erinnert sich noch an die Faszination damals – aber auch an das Gefühl, Teil einer sich beschleunigenden technologischen Entwicklung zu sein. Für die neueren Generationen sind Begriffe wie Metaverse sogar fast zu abstrakt, es ist Teil ihres Alltags geworden. Sie konsumieren und leben bereits zu grossen Teilen in virtuellen Welten, kümmern sich um ihr digitales Profil und tauschen sich via Social-Media-Apps aus.

Es ist also eher etwas für den Freizeitspass?
Wichtig ist aus meiner Sicht, dass man das Metaverse als breites, vielschichtiges Phänomen betrachtet: Es wird sicher unser aller Privatleben beeinflussen, neue Arten von Unterhaltung und sozialen Austauschs und Freizeitgestaltung ermöglichen. Zunehmend wird es jedoch auch professionelle Anwendungen in der Berufswelt geben. Sehr hohes Potenzial besteht in der Bildung und Weiterbildung. Wir sollten diesen neuen Technologien mit einer gesunden Neugier und ohne Angst begegnen. Im Bereich KI sind wir hier wieder einmal auf dem falschen Fuss erwischt worden, und ich befürchte, das Metaverse bekommt aktuell zu wenig Aufmerksamkeit, da wo es eigentlich nötig wäre.

INFO

AUSBILDUNG ÜBEN IN DER VIRTUELLEN WELT

Immer mehr Branchen setzen bei der Aus- und Weiterbildung auf virtuelle Programme. Mit der VR-Brille und weiteren Steuergeräten wie VR-Anzüge, Controller, Hand-Tracker und speziell nachgebauten, schnittstellenfähigen Werkzeuge ist es möglich, Handgriffe und Arbeitsabläufe realitätsnah zu simulieren. So lassen sich zum Beispiel unangenehme Verkaufsgespräche trainieren, erste Versuche mit dem Schweissapparat machen und Routineabläufe einüben. Sogar Spezialeinheiten bei Polizei und Militär nutzen heute virtuelle Umgebungen, um Einsätze zu drillen. Heikle Situationen lassen sich so nicht nur einfach und sicher trainieren, sondern im Nachgang auch detailliert analysieren, um Schwachpunkte aufzuzeigen.

Welche rechtlichen, ethischen und gesellschaftlichen Herausforderungen bringt das Metaverse mit sich?
Sehr viele: Bereits im Jahr 1999 habe ich mit meinem Doktorat über die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Prozesse in digitalen Räumen und virtuellen Gemeinschaften an der. Universität St. Gallen HSG promoviert. Die meisten Herausforderungen aus diesen Recherchen sind bis heute nicht gelöst. Doch wir werden bald wichtige Herausforderungen angehen müssen – gesellschaftlich wie auch auf politischer, gesetzgeberischer Ebene.

Alle Eltern von Kindern und Jugendlichen sind heute täglich damit konfrontiert: Wieviel Roblox, Minecraft, Fortnite etc. ist noch in Ordnung und wann ist es zu viel? Was passiert in diesen Welten wirklich? Wer reguliert diese? Das Metaverse ist bereits da, wir sollten uns intensiver damit beschäftigen. Das ist auch das Credo der Swiss Metaverse Association, die wir vor zwei Jahren als offenen Verein gegründet haben, um uns eben mit den Herausforderungen sowie Chancen gründlich auseinanderzusetzen. Wir beziehen hier bewusst die Politik und Verbände mit ein, denn es braucht einen breiten Dialog, in den möglichst viele Akteure eingebunden sind.

Im Metaverse können Menschen Häuser und Geschäfte bauen. Auf welche Art lassen sich diese virtuellen Immobilien nutzen?
Geschäfte im Metaverse kann man sich wie Online-Shops vorstellen, die plötzlich in 3D daherkommen. Ich sehe die Waren dort nicht als lange Internet-Liste mit Fotos, sondern laufe als Avatar durch eine virtuelle Shopping Mall und kann Dinge per Klick erwerben. Für Metaverse-Häuser wird es in Zukunft eigene Märkte geben, und in einem Projekt mit einem Immobilienentwickler habe ich vor zwei Jahren das Thema Digital Twin betrachtet. Dabei geht es darum, vor dem Hausbau ein exaktes 3D-Modell im Metaverse zu erstellen, sodass die Käufer es bereits besuchen und eventuell auch als exklusiven, digitalen Raum nutzen können.

INFO

VIRTUELLE IMMOBILIEN

Im Metaverse hat sich ein virtueller Immobilienmarkt entwickelt. Wie in der physischen Welt kann digitales Land als Kapitalanlage genutzt werden. Käufer von virtuellen Grundstücken können diese bebauen, verkaufen oder vermieten. Der Besitz wird durch NFTs, die als digitale Eigentumszertifikate fungieren, nachgewiesen, und bezahlt wird mit Kryptowährung. In den grössten Metaverse-Plattformen sind bereits beträchtliche Investitionen getätigt worden. In The Sandbox wurde kürzlich ein virtuelles Grundstück für über 4,3 Millionen US-Dollar verkauft. Der bisher grösste Immobiliendeal im Metaverse ist jener zwischen Curzio Research, einem Finanzverlag, und TCG World für 19 Immobilien mit einem Gesamtwert von 5 Millionen Dollar.

So entsteht ein neues Wirtschaftssystem. Wie werden Transaktionen dort abgewickelt?
Hier gibt es grob zusammengefasst zwei Ansätze: Das eine sind unsere klassischen digitalen Zahlungssysteme, die ins Metaverse integriert werden. Das heisst, ich bezahle in einer virtuellen Shopping Mall zum Beispiel mit der Kreditkarte. Innovativer finde ich hier die Nutzung der Blockchain: Sie ist komplett digital und bietet eine hohe Sicherheit. Zudem braucht es keine weiteren Zwischenschritte. Ich kann im Metaverse mit Tokens oder Kryptowährungen bezahlen, die dann ohne Umwege beim Empfänger landen, ohne dass unser klassisches Zahlungssystem beansprucht wird.