Energetische Musterschüler

Der Energieverbrauch von Neubauten und sanierten Häusern hat in den letzten Jahrzehnten massiv abgenommen – sogar eine positive Energiebilanz ist heute möglich. Folgende Konzepte stecken dahinter.

Text — Raphael Hegglin

 

Ein Altbau benötigt drei- bis viermal mehr Heizwärme als ein nach heutigen Vorschriften erstelltes Gebäude. Baut man nach dem Minergie-Standard, so ist es sogar sechsmal weniger Heizwärme. Und auch eine Sanierung lohnt sich aus energetischer Sicht: Mit ihr lässt sich der Heizwärmebedarf mindestens halbieren.

Eine Gebäudehülle mit möglichst wenig Wärmedurchlass ist dabei der Schlüssel zu mehr Energieeffizienz. Konkret heisst das: eine dicke Dämmschicht und gut isolierende Fenster – am besten mit Dreifachverglasung. Im Neubaubereich sind diese Massnahmen längst Pflicht, für Sanierungen werden sie es zunehmend. Energetische Musterschüler im Gebäudebereich leisten aber viel mehr: Sie benötigen selbst an kalten Wintertagen nur noch geringe Mengen an Heizwärme. Die Besten unter ihnen produzieren sogar mehr Energie, als in ihnen verbraucht wird.

 

PASSIVHÄUSER UND MINERGIE-P-HÄUSER

Vor 10 Jahren waren sie noch Vorzeigebauten, heute sind sie schon fast Standard: Sogenannte Passivhäuser, die pro Quadratmeter und Jahr maximal 30 kWh Heizwärme verbrauchen. In Heizöl ausgedrückt, sind das etwa 3 l/m2 und Jahr. Zum Vergleich: Nach MuKEn 2014 erstellte Neubauten verbrauchen mindestens 30 % mehr Heizwärme als Passivhäuser. Was macht den niedrigen Heizwärmebedarf bei Passivhäusern möglich? Starke Dämmung und hochisolierende Fenster allein reichen nicht, auch die Architektur muss angepasst sein. So soll das Verhältnis der Aussenfläche zum Innenvolumen möglichst klein sein. Denn über die Aussenfläche geht die Heizwärme verloren – je kleiner sie ist, desto geringer der Verlust. Idealste Form dazu ist die Kugel, sie hat – bezogen auf ihr Innenvolumen – die geringste Aussenfläche. Die Kugel ist als Gebäudeform bekannterweise ungeeignet. Ideal sind hingegen Würfel, bei denen ebenfalls viel Volumen von vergleichsweise wenig Fläche umschlossen wird. Kompakte Gebäudeformen sind daher typisch für Energiesparhäuser.

 

BEISPIEL SANIERUNG: VOM ALTBAU ZU MINERGIE

Vorher

Nachher

Das sanierte Einfamilienhaus steht im luzernischen Adligenswil und wurde 1976 erbaut. Da das Haus bewohnt bleiben sollte, erfolgte seine Sanierung etappenweise, auf 6 Jahre verteilt (2013 – 2019). Grossen Wert legten die Hausbesitzer auf eine effiziente Wärmedämmung. Durch Aufdämmen der Gebäudehülle (Fassade, Dach und Kellerdecke) sowie neue Fenster liess sich die Energieeffizienz deutlich verbessern: Der Wärmedurchlass der Fassade ist über viermal kleiner als vorher und jener durch Dach und Kellerdecke mehr als dreimal kleiner. Sämtliche Räume des Hauses belüftet nun eine Komfortlüftung, diese liess sich in einem kaum genutzten Dachraum unterbringen. Die Ölheizung wurde durch eine Inverter-Luftwärmepumpe ersetzt. Sie erzeugt heute Wärme zum Heizen und fürs Warmwasser. Und die Hausbesitzer haben die Ökobilanz ihres Eigenheims zusätzliche verbessert: Mit einer Dach-Photovoltaikanlage erzeugen sie einen Teil des benötigten Stromes selbst und mit drei Regenwassertanks – im ehemaligen Öltankraum untergebracht – decken sie 90 % des Wasserverbrauchs für die WC-Spülung und bewässern ihren Garten.

ECKDATEN SANIERTES EINFAMILIENHAUS

Baujahr 1976
Dauer der Sanierung 6 Jahre (etappiert)
Energiebezugsfläche 304 m2
Heizung früher: Öl
heute: Inverter-Luftwärmepumpe
Jährlicher Energiebedarf (Wärme und Strom) früher: 57‘600 kWh
heute: 18‘350 kWh
Zusätzliche Massnahmen Photovoltaikanlage,
Regenwassertanks für WC-Spülung und Garten
Energieeffiziente Haushaltgeräte
Beleuchtung 100 % LED

 


SOLARER WÄRMEEINTRAG

Bei Passivhäusern sind zudem die Fenster so positioniert, dass ein maximaler solarer Wärmeeintrag möglich wird. Fenster nach Süden und Südwesten sind gross, jene nach Norden in der Regel klein. Der Wärmegewinn durch Sonnenstrahlung kann in einem Passivhaus so einen grossen Teil des Heizwärmebedarf decken. Eine kontrollierte Lüftung mit Wärmerückgewinnung steigert die Energieeffizienz eines Gebäudes zusätzlich: Mindestens 80 % der in der Abluft enthaltenen Wärme lassen sich auf die zugeführte Frischluft übertragen. Die kontrollierte Lüftung – auch Komfortlüftung genannt – ist daher für das Minergie-Label Pflicht. Das gilt auch für ein Minergie-P-Haus, die Version des Schweizer Passivhauses. Passivhäuser lassen sich jedoch auch ohne kontrollierte Lüftung realisieren. Dann ist ein umso disziplinierteres Nutzungsverhalten der Bewohnerinnen und Bewohner erforderlich. Denn wenn diese falsch lüften, benötigt ihr Passivhaus deutlich mehr Heizwärme als geplant. Der Energiespareffekt verpufft dann förmlich.

 

PLUSENERGIEHAUS: DAS HAUS ALS KRAFTWERK

Plusenergiehäuser bauen in der Regel auf dem Konzept der Passivhäuser auf und produzieren zusätzlich selbst Strom. Und zwar mehr, als für die Heizwärme und den Haushaltsstrom benötigt wird: Die Jahresenergiebilanz eines Plusenergiehauses muss positiv sein. In der Praxis erzeugen solche Häuser ihren Strom mittels Photovoltaik, in seltenen Fällen mit einer Windturbine. Wie sehr ein Plusenergiehaus auch ein Energiesparhaus sein muss, diskutiert die Fachwelt kontrovers. Daher gibt es zwei Strömungen: Die erste vertritt die Meinung, dass Energieeffizienz immer an erster Stelle kommt und auch mit einer Photovoltaikanlage auf dem Dach jede Kilowattstunde Wärmeenergie eingespart werden soll.

 

BEISPIEL NEUBAU: ENERGIE IM ÜBERSCHUSS

Das Plusenergiehaus in Köniz (BE) trägt das Minergie-A-Label und hat Baujahr 2019. Es handelt sich um einen Ersatzneubau, der als Doppeleinfamilienhaus erstellt wurde. Die Aussenwände des Holzelementbaus sind mit einer 28 cm dicken Dämmschicht versehen, am Dach sind es 24 cm und an der Kellerdecke 16 cm. Die Fenster sind 3-fach verglast. Die Heizung besteht aus einer Erdsonden-Wärmepumpe mit Freecoling-Funktion – mit ihr lässt sich im Sommer also auch umweltfreundlich kühlen. Zu einem grossen Teil wird die Wärmepumpe – die auch das Warmwasser erzeugt – mittels selbst produziertem Strom betrieben. Dieser stammt aus der Indach-Photovoltaikanlage, welche eine gesamte Seite des Satteldachs einnimmt. Die berechnete jährliche Stromproduktion beträgt 18'800 kWh, der jährliche (berechnete) Gesamtstrombedarf 14'400 kWh. Jährlich fallen also etwa 4'400 kWh Strom überschüssig an (berechnet). Das entspricht in etwa dem durchschnittlichen Jahresverbrauch eines Vierpersonenhaushalts – ohne Heizen. Sämtliche im Haus betriebenen Elektrogeräte wie auch die Beleuchtung sind Bestgeräte nach topten.ch.

ECKDATEN PLUSENERGIEHAUS (NEUBAU)

Baujahr 2019
Energiebezugsfläche 490 m2 (verteilt auf 2 Wohneinheiten)
Heizung Erdsonden-Wärmepumpe mit Freecooling
Jährlicher Stromüberschuss ca. 4‘400 kWh
Photovoltaikanlage Indach-Anlage, 106 Module
mit insgesamt 20 kWp Leistung, südliche Dachseite


NACHGEFRAGT

Cornelius Wegelin
Bewohner und Mitbesitzer des Minergie-A-Hauses in Köniz

Was gab für Sie den Ausschlag, sich für ein Minergie-A-Haus zu entscheiden?
Ich bin der Meinung, heute erstellte Neubauten sollten mindestens Nullenergiehäuser sein – das lässt sich meist problemlos verwirklichen. Persönlich wollten wir noch weiter gehen und haben uns für den Minergie- A-Standard entschieden. Klar: Das ist im ersten Moment etwas teurer, langfristig betrachtet aber die richtige Entscheidung. Ob es sich allerdings auf den letzten Rappen rechnet, weiss ich nicht und spielt für mich keine Rolle: Die Energiewende ist nicht gratis.

Inwiefern unterscheidet sich das Leben in einem Plusenergiehaus von dem in einem konventionellen?
Es unterscheidet sich nur marginal. Da wir den Solarstrom selbst nutzen wollen, müssen wir Geräte wie Geschirrspüler oder Waschmaschinen wenn immer möglich tagsüber laufen lassen – ebenso wie die Wärmepumpe. Mit einer Steuerung und etwas Erfahrung beeinflusst dies den Alltag aber nur wenig.

Konnten sich die Erwartungen bis jetzt erfüllen?
Sie wurden übertroffen: Unsere Energiebilanz ist sogar besser als berechnet, wir haben bis jetzt mehr überschüssigen Strom produziert als erhofft. Zudem ist der Wohnkomfort in unserem Haus dank kontrollierter Lüftung und der Holzbauweise hervorragend. Für mich ist daher klar: Auch Menschen, die nicht Technik-affin sind, leben in einem Minergie-A-Haus sorgenfrei.


MEHR SPIELRAUM FÜR ARCHITEKTUR

Andere Fachpersonen sind der Meinung, dass ein Plusenergiehaus mehr Spielraum für Architektur erlaubt als ein reines, puristisches Energiesparhaus. Die Effizienz der Gebäudehülle steht bei ihnen nicht an erster Stelle, solange die Energiebilanz positiv bleibt. Solche Plusenergiehäuser weichen von der streng kubischen Form ab, sind mit Auskragungen, Erkern oder grosszügigen Terrassen und Balkonen versehen. Es braucht wohl beide Strömungen, die sich dank neuer Baumaterialien zunehmend vermischen: Bei den «Energiesparern» wird möglichst viel des erzeugten Stroms ins öffentliche Netz eingespeist, was die Energiewende erst ermöglicht. Die «Architektur-Affinen» hingegen erstellen weiterhin Unikate und sorgen dafür, dass die Architektur des 21. Jahrhunderts nicht zum Stillstand kommt.
 

CHECKLISTE

DER WEG ZUM ENERGETISCH SANIERTEN HAUS

  1. Eigenkompetenz aufbauen: Wer gut informiert ist, kann auf Augenhöhe mit Baufachleuten reden.
  2. Schwachstellen sichtbar machen und Massnahmen definieren: Grundlage dazu bildet eine Energieberatung/Gebäudeanalyse (evtl. mit GEAK).
  3. Planen: Sanierung in sinnvolle Pakete aufteilen und Dauer der Umsetzung definieren; Baubewilligung beantragen.
  4. Budgetieren: Finanzierung sichern und Fördergelder beantragen. Steuerliche Abzüge nicht vergessen!
  5. Baustart und Umsetzung: Stetige Kontrolle der Bauarbeiten durch einen selbst oder eine vertrauenswürdige Person.
  6. Abnahme der Bauarbeiten: Es ist wichtig, allfällige Baumängel so früh wie möglich zu erkennen und zu beanstanden.