Mehr Tageslicht im Haus — aber wie?
Wir verbringen im Schnitt 90 % des Tages in Innenräumen – das lässt sich oft nicht vermeiden. Doch Tageslichtmangel kann gravierende Folgen für Gesundheit und Wohlbefinden haben. Wie kommt mehr Licht ins Haus?
Text — Tanja Seufert
Tageslicht hält uns vital und gesund. Es ist ein wichtiger Teil unseres natürlichen Wach-Schlaf-Rhythmus: Unser Körper ist darauf programmiert, bei Tagesanbruch aufzuwachen und bei Dunkelheit müde zu werden. Tageslicht gibt unserem Hirn das Signal, wann es Zeit zum Aufwachen ist. Schwindet es abends, bildet der Körper das «Schlafhormon» Melatonin: Wir werden müde.
UNSER KÖRPER BRAUCHT HELLES LICHT – ABER NUR TAGSÜBER
Gestört wird dieser natürliche Rhythmus durch künstliches Licht, insbesondere durch Blaulicht. Es weist die gleichen Wellen auf wie Tageslicht, weshalb es unserem Hirn heiterhellen Tag vortäuscht, obwohl die Sonne längst untergegangen ist. Deshalb sollte man abends auf helles Licht und Bildschirmzeit verzichten. Hingegen kann helles Licht helfen, wenn man morgens nicht in die Gänge kommt (siehe Infobox). Nicht zuletzt braucht unser Körper Sonnenlicht, um Vitamin D zu bilden, ein unter anderem fürs Immunsystem wichtiger Mikronährstoff.
INFO
TAGESLICHT IMITIEREN: WIE FUNKTIONIERT DAS?
Eine Tageslichtlampe ist eine intensive Lichtquelle, die das natürliche Tageslicht simuliert. Sie wird bei Lichtmangel, wie im Winter oder bei wenig Tageslicht im Wohnraum, eingesetzt. Tageslichtlampen können helfen, die Stimmung zu verbessern, die Konzentration zu steigern und Winterdepressionen zu lindern.
Lichtwecker imitieren den Sonnenaufgang, indem sie das Licht langsam heller werden lassen. Dadurch werden wir sanft aus dem Schlaf geholt, und wir fühlen uns wacher und ausgeruhter. Manche Modelle verfügen auch über eine Sonnenuntergangs-Funktion für den Abend.
DAS HÖHLEN-EXPERIMENT VON 1938
Tageslicht ist ein zentraler Faktor für erholsamen Schlaf und eine gute Gesundheit. Aber nicht der einzige: Um zu untersuchen, ob unser Schlaf-Wach-Rhythmus ohne Licht in Chaos verfällt, verbrachten die US-Forscher Nathaniel Kleitman und Bruce Richardson im Jahr 1938 ganze 32 Tage in einer Höhle ohne jegliches Licht. Es stellte sich heraus, dass sie einen ähnlichen Schlaf-Wach-Rhythmus wie ausserhalb der Höhle hatten: Sie waren etwa 15 Stunden wach und schliefen dann rund 9 Stunden. Doch war der natürliche 24-Stunden-Rhythmus gestört, er dauerte jeden Tag etwa 15 Minuten länger. Unser Gehirn «justiert» also den inneren Zeitmesser mithilfe von Tageslicht, ähnlich wie das kleine Rädchen, mit dem man die Uhrzeit zurückstellen kann.
AUCH IN INNENRÄUMEN IST ES OFT ZU DUNKEL
Zwar nicht zappenduster, aber doch zu dunkel sind viele Innenräume. Wer sich (fast) den ganzen Tag drinnen aufhält, bekommt zu wenig Tageslicht ab. Die Folge davon können Vitamin-D-Mangel und ein gestörter Schlaf-Wach-Rhythmus sein, was sich zum Beispiel in Form von Schlafstörungen und Tagesmüdigkeit ausdrücken kann. Doch lässt sich Tageslichtmangel durch grossflächige Fenster kompensieren? Jein. Entscheidend ist der Lux-Wert, der sich durch Fenster erzielen lässt.
DRAUSSEN IST ES ZWISCHEN 20'000 UND 100'000 LUX HELL
Lux ist die Masseinheit für die Beleuchtungsstärke einer Fläche. Einfach gesagt, zeigt Lux an, wie hell ein bestimmter Bereich beleuchtet ist. Je höher der Lux-Wert, desto heller ist die Fläche. Natürliches Tageslicht hat an bewölkten Tagen eine Beleuchtungsstärke von etwa 20'000 Lux, an sonnigen Tagen sogar bis zu 100'000 Lux – draussen, notabene. Steht man in einem Raum direkt am Fenster, lassen sich hier an sonnigen Tagen bis zu 3'000 Lux messen, also immer noch viel weniger als draussen.
DER EXPERTE
Prof. Dr. med. Matthew Walker
Schlafmediziner und Buchautor (Das grosse Buch vom Schlaf, Goldmann Verlag)
«WACHEN SIE NACH MÖGLICHKEIT MIT DER SONNE AUF»
«Das tägliche Schlafschema wird ganz wesentlich durch das Tageslicht beeinflusst. Versuchen Sie, jeden Tag mindestens dreissig Minuten lang an das natürliche Sonnenlicht zu kommen. Wachen Sie nach Möglichkeit mit der Sonne auf oder verwenden Sie morgens sehr helles Licht. Schlafexperten empfehlen, sich morgens eine Stunde lang dem Sonnenlicht auszusetzen und bei Schlafproblemen das Licht vor dem Schlafengehen zu dimmen. Sorgen Sie dafür, dass Sie jeden Tag zur gleichen Zeit ins Bett gehen und aufwachen. Durch längeres Schlafen am Wochenende lässt sich der Schlafmangel der Werktage nicht komplett wieder ausgleichen, und zudem fällt es dann viel schwerer, am Montagmorgen früh aufzuwachen. Stellen Sie sich einen Wecker für die Zubettgehzeit. Meist lassen wir uns vom Wecker nur morgens an das Aufstehen erinnern, nicht jedoch ans Schlafengehen.»
Bild: Frederick M. Brown/Getty Images
FARBTEMPERATUR AKTIVIERT ODER ENTSPANNT
Neben der Beleuchtungsstärke ist auch die Farbtemperatur wichtig. Sie wird in Kelvin gemessen. Weisses Licht hat eine Kelvin-Zahl von über 5300, beinhaltet einen hohen Blauanteil und ähnelt dem natürlichen Tageslicht. Es eignet sich tagsüber für Arbeitsbereiche wie Küche oder Homeoffice. Warmes Licht hat eine Kelvin-Zahl zwischen 2700 und 3300, wirkt gelblich oder rötlich und erinnert an einen Sonnenuntergang. Es ist abends die erste Wahl, damit der Körper vor dem Schlafen ausreichend Melatonin bildet.
SIA-NORM REGELT DIE TAGESLICHTVERSORGUNG IN GEBÄUDEN
Seit 2019 gilt in der Schweiz die Tageslichtnorm SN EN 17037 («Tageslicht in Gebäuden»). Die regelt nicht nur die Tageslichtversorgung und den direkten Lichteintrag, sondern auch den Schutz vor Blendung und gilt für alle Räume, die regelmässig über längere Zeit genutzt werden. Anders als die alte Norm, die das Verhältnis zwischen Boden- und Fensterfläche regelte, basiert die neue Norm auf der tatsächlichen Helligkeit im Raum: der Anzahl Lux. So lassen Dachfenster deutlich mehr Licht in die Räume als Fassadenfenster, was heute berücksichtigt wird.
CHECKLISTE
MIT DIESEN MASSNAHMEN ERHÖHEN SIE IHREN TAGESLICHT-ANTEIL:
- Halten Sie sich tagsüber möglichst oft im Freien auf, und sei es «nur» während der Mittagspause. Im Sommer sollten Sie direkte Sonneneinstrahlung mittags vermeiden.
- Bauen Sie nach Möglichkeit grössere Fassadenfenster ein, noch besser sind Dachfenster. Öffnen Sie Vorhänge und Rollläden. Je mehr Licht die Fenster in die Räume lassen, umso besser – zumindest in den Wintermonaten.
- Ziehen Sie bei einer Sanierung die Möglichkeit in Betracht, einen Wintergarten zu bauen.
- Falls Sie drinnen arbeiten, gönnen Sie sich einmal täglich eine «Lichtdusche» mit einer Tageslichtlampe.
- Verwenden Sie zum Arbeiten helles Licht mit hohem Blauanteil (weisses Licht), es ist dem Tageslicht am ähnlichsten.
- Wählen Sie zum Arbeiten einen Platz am Fenster.
- Verwenden Sie helle Wandfarben: Sie reflektieren das Licht besser als dunkle und lassen Räume grösser und heller wirken.
GRÖSSERE FENSTER, DACHFENSTER ODER TAGESLICHT-SPOT
Auch bei Altbauten lohnt es sich, im Zuge einer Sanierung die Fensterflächen zu erweitern – vielleicht sogar in Form eines Wintergartens – und im Dachgeschoss an Dachfenster zu denken. Ist dies nicht möglich, so helfen künstliche Lichtquellen. Es muss nicht gleich die Lichtstärke eines Operationssaals sein (10'000 Lux), schon 500 Lux machen munter – dies entspricht einer hellen Bürolampe. Eine Lösung für dunkle, womöglich fensterlose Räume kann ein Tageslicht-Spot sein, auch als Lichtkamin, Oberlichttunnel oder Lichtrohr bezeichnet. Das ist eine Art Lichtkanal, der vom Dach Sonnenlicht «einfängt» und dank hochreflektierendem Material in einen Raum leitet.
MEHR SICHERHEIT DANK LICHT
Nicht zuletzt erhöht Licht die Sicherheit. Zum einen verringert eine gute Ausleuchtung der Räume und insbesondere der Treppen die Gefahr zu stolpern oder sich an einem Gegenstand zu stossen. Zum andern schreckt Licht auch ungebetene Gäste ab. Draussen ist helles «Schocklicht» effektiv, das mit einem Bewegungssensor verbunden ist, drinnen täuscht Licht – am besten mit Zeitschaltuhr – Anwesenheit vor. Dabei sollten die Räume nicht vollständig einsehbar sein, ideal sind zum Beispiel Vorhänge, die Licht durchscheinen lassen, oder halb offene Rollladen.