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Naturgefahren: Sorgen Sie vor

Ob ein Fluss, der über die Ufer tritt, oder ein Sturm, der übers Dorf fegt: Naturereignisse können an Häusern schwere Schäden verursachen. Wer vorsorgt, kann jedoch viele  vermeiden.

Text — Tanja Seufert

 

HAUS UND LEBEN SCHÜTZEN, ABER WIE?

«Lage ist alles»: Das Motto der Immobilienmakler gilt auch, wenn es um Naturgefahren geht. So ist ein Haus im Walliser Mattertal anderen Gefahren ausgesetzt als ein St. Galler Stadthaus. Um sich und sein Haus auf mögliche Naturereignisse vorzubereiten, muss man deshalb die lokalen Gefahren kennen und wissen, wie man sich im Fall der Fälle verhalten soll. Dies ist nicht nur hinsichtlich möglicher Schäden am Haus wichtig – noch viel entscheidender ist, dass mit der richtigen Vorbereitung auch das Risiko von Verletzungen oder gar Todesfällen sinkt. Man denke zum Beispiel an Ziegel, die bei einem Unwetter durch die Gegend fliegen. Oder an Hochwasser, das innert Minuten einen Keller überfluten kann. So kommt es immer wieder vor, dass die Bewohner bei Hochwasser noch Gegenstände aus dem Keller retten möchten und unterschätzen, wie schnell der Wasserpegel steigen kann.

INFO

WAS IST EIN ELEMENTARSCHADEN?

Elementarschäden werden nicht durch eine Person, sondern durch ein Naturereignis verursacht. Sie umfassen Schäden durch Hochwasser, Überschwemmung, Sturm, Hagel, Lawinen, Schneedruck, Felssturz, Steinschlag, Erdrutsch sowie Feuer. In den meisten Kantonen sind Elementarschäden am Haus durch die obligatorische kantonale Gebäudeversicherung abgedeckt. Diese gilt auch für Installationen und Anlagen, die fix mit dem Haus verbunden sind (siehe auch «Wichtige Versicherungen für Hauseigentümer»)


KANTONALE GEFAHRENKARTEN GEBEN DETAILLIERT AUSKUNFT

Doch wie lässt sich herausfinden, welche Risiken an der eigenen Lage bestehen? Bund und Kantone verfügen über zahlreiche Karten zu verschiedenen Naturgefahren, zum Beispiel die kantonalen Gefahrenkarten. Diese geben Auskunft, welche Gebiete von Hochwasser, Lawinen und Felsstürzen und Erdrutschen gefährdet sind. Besonders praktisch ist der Naturgefahren-Check auf: schutz-vor-naturgefahren.ch. Wer eine Adresse eintippt, erhält alle möglichen Gefährdungen für diesen Standort sowie passende Massnahmen – auch in Bezug auf Erdbeben.

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BEISPIELE FÜR ELEMENTARSCHÄDEN

  • Hochwasser: Ein heftiger Regen hat den beschaulichen Bergbach in einen reissenden Strom verwandelt. Er hat das Bachbett zwar noch nicht verlassen, aber aufgrund des Wasserdrucks und der mitgerissenen Bäume einen Teil Ihrer Hauswand zerstört.
  • Überschwemmung: Es regnet immer weiter. Der Fluss steigt so stark an, dass das Wasser über die Ufer tritt und ein Dorf oder ein ganzes Stadtquartier überflutet. Ihr Haus steht unter Wasser – alles, was Sie im Keller und im Erdgeschoss hatten, ist verloren.
  • Sturm: Ein Sturm mit einer Windgeschwindigkeit von mehr als 75 km/h fegt über Ihre Gemeinde. Und Ihre neue Sonnenstore in Teilen auch. Starke Windstösse haben sie zerlegt.
  • Hagel: Plötzlich schlagen Hagelkörner ein. Und hinterlassen auf Ihrem Hausdach massive Einschlaglöcher: Dachfenster und Ziegel sind gebrochen. Ihr Garten samt Möbeln ist ruiniert.
  • Lawinen: Schneemassen lösen sich vom Berg und stürzen auf Ihr Haus. Es wird unbewohnbar, Gebäude und Hausrat sind verloren.
  • Schneedruck: Es hat tagelang ununterbrochen geschneit. Die Schneemassen auf Ihrem Dach werden immer schwerer. Bis es schliesslich unter dem Druck einbricht und das gesamte oberste Stockwerk samt Einrichtung zerstört.
  • Felssturz: Ein heftiges Gewitter tobt. Dabei löst sich ein ganzer Felsvorsprung aus einer Felswand über Ihnen. Von Ihrem Haus ist nichts mehr übrig.
  • Steinschlag: Einzelne Steine fallen einen Hang hinunter und schlagen in Ihr Haus ein. Mehrere Zimmer und alles darin sind verwüstet.
  • Erdrutsch: Nach tagelangem Regen kommt die oberste Erdschicht eines Abhangs ins Rutschen und begräbt Ihr Haus. Es wird unbewohnbar.
  • Feuer: Bei einem Gewitter schlägt bei Ihnen ein Blitz ein. Und verursacht einen Brand, der sich auf das gesamte Gebäude ausweitet. Haus und  Hausrat sind Opfer der Flammen geworden.             

​​​​​(Quelle: Allianz)


MITTLERE ERDBEBENGEFÄHRDUNG IM EUROPÄISCHEN VERGLEICH

Gerade diese Gefahr wird hierzulande häufig unterschätzt. Typisch im Alpen- und Gewässerland Schweiz sind aber nicht nur Rutschungen und Hochwasser, sondern auch Erdbeben. Dazu schreibt der Schweizerische Erdbebendienst (SED): «Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern besteht in der Schweiz eine mittlere Erdbebengefährdung, wobei es regionale Unterschiede gibt: Das Wallis ist die Region mit der höchsten Gefährdung, gefolgt von Basel, Graubünden, dem St. Galler Rheintal, der Zentralschweiz und der übrigen Schweiz. Regionen ganz ohne Erdbebengefährdung gibt es in der Schweiz nicht.» Broschüre «Ist unser Gebäude erdbebensicher?» des BAFU

 

IN DER SCHWEIZ BEBT DIE ERDE ÜBER 1000 MAL PRO JAHR

Mit seinen über 200 Seismometern registriert der SED in der Schweiz und im nahen benachbarten Ausland durchschnittlich drei bis vier Erdbeben pro Tag beziehungsweise 1’000 bis 1’500 Erdbeben pro Jahr. Nur einen Bruchteil davon spürt man als Beben – was einen gerne vergessen lässt, dass die Schweiz ein Erdbebenland ist. Zwar sind schwere Beben extrem selten, doch schon kleinere Ereignisse können zu Schäden führen. Ob und wie sich vorbeugen lässt, erklärt Blaise Duverney im Interview.
 

DER EXPERTE

Blaise Duvernay
Bereichsleiter Erdbebenvorsorge, Bundesamt für Umwelt

«ERDBEBENSICHERHEIT LÄSST SICH NUR DURCH EINE FACHPERSON BEURTEILEN»

Herr Duvernay, wie erdbebengefährdet ist der Schweizer Gebäudebestand?
Wie erdbebensicher die Gebäude in der Schweiz sind, ist zum grössten Teil unbekannt. Überprüfungen und Sanierungen der vergangenen 20 Jahre lassen aber darauf schliessen, dass ein Teil des Schweizer Gebäudeparks ungenügend gegen Erdbeben gesichert ist. 

Die grosse Mehrheit der bestehenden Gebäude in der Schweiz ist mit Baunormen geplant und erstellt worden, die entweder keine oder wesentlich geringere Anforderungen an die Erdbebensicherheit stellten, als dies heute der Fall wäre. 

Massgebend für die Erdbebensicherheit ist in erster Linie das Tragwerk eines Gebäudes. Zum Beispiel ist ein Gebäude mit kontinuierlichen aussteifenden Wänden, die ohne Unterbruch vom Dach bis zum Fundament verlaufen, viel weniger verletzlich als ein vergleichbares Gebäude, bei welchem die aussteifenden Wände im Erdgeschoss unterbrochen und durch Stützen ersetzt werden. Diese klassische Schwachstelle, die «soft storey» genannt wird, ist ein Hinweis auf eine sehr geringe Erdbebensicherheit. Ebenso können ältere Mauerwerksgebäude mit Holzbalkendecken besonders verletzbar sein, wenn das Mauerwerk von schlechter Qualität ist und die Fassaden nicht genügend mit den Decken und Wänden in der Querrichtung verbunden sind.

Wie kann ich selbst erkennen, ob mein EFH sicher ist?
Wie erdbebensicher ein Gebäude ist, kann und sollte im Prinzip nur von einem spezialisierten Bauingenieur beurteilt werden. Dies erfolgt üblicherweise bei der Planung von grösseren Umbauten und Instandsetzungen. Für freistehende Einfamilienhäuser mit zwei Geschossen, die keine gravierenden Schwachstellen aufweisen, ist eine Überprüfung der Erdbebensicherheit aber in der Regel nicht empfehlenswert. Aus Erfahrung weiss man, dass solche Bauten genügend erdbebensicher sind, selbst wenn sie die heutigen Anforderungen nicht vollständig erfüllen. Beim Verdacht einer gravierenden Schwachstelle beim eigenen Einfamilienhaus kann ein Bauingenieur für eine qualitative Beurteilung beauftragt werden.

Welche Massnahmen sind nachträglich möglich, um ein Haus erdbebensicher zu machen?
Verstärkungsmassnahmen für Einfamilienhäuser sind unüblich. Bei grösseren Gebäuden mit Handlungsbedarf hängt die Art der notwendigen Verbesserungsmassnahmen von den identifizierten Schwachstellen ab. Klassisch ist der Einbau neuer Aussteifungselemente, wie zum Beispiel zusätzliche durchgehende Wände. Bei älteren Mauerwerksgebäuden mit Holzbalkendecken können die Fassaden rückverankert und die Decken verstärkt werden. 


EIGENHEIM VOR NATURGEFAHREN SCHÜTZEN

Welche Massnahmen sind im einzelnen Fall nötig oder zumindest sinnvoll? Was lässt sich nachträglich überhaupt verändern? Hier bieten die Gebäudeversicherer Unterstützung. Die meisten kantonalen Gebäudeversicherungen beraten Eigentümerinnen und Eigentümer kostenlos zu Schutzmassnahmen und leisten für diese  sogar finanzielle Beiträge. Wichtig ist, Beitragsgesuche vor Beginn der Massnahme einzureichen. Eine Liste der kantonalen Gebäudeversicherungen findet sich auf schutz-vor-naturgefahren.ch. Unabhängig von der Lage, sollte jedes Haus über eine Blitzschutzanlage verfügen. Diese ist zwar nicht obligatorisch, aber unbedingt zu empfehlen. Auch Rauchmelder gehören zu den «Basics» der Schutzmassnahmen.

Hier finden Sie die nützliche Checkliste «Notfallplan Naturgefahren»