Häuser mit Geschichte

Von der Hütte ohne Strom und Wasser über die beengte Stadtwohnung bis hin zur Maisonette-Wohnung im Hochhaus: Wie Menschen wohnen, hat sich über die Jahrhunderte stark verändert. Was erzählen Häuser über frühere Lebensweisen?

Text — Tanja Seufert

 

ALLE SCHLIEFEN IM GLEICHEN RAUM

Eines hat sich in den letzten Jahrtausenden kaum verändert: Wer mehr Geld hat, wohnt auch komfortabler – was die Grösse des Hauses und Grundstücks, aber auch die Haustechnik angeht. Die einfachen Bauern im Mittelalter lebten in kleinen Lehm- oder Holzhäusern, wo oft die ganze Familie in einem Raum – den mit der Feuerstelle – schlief. Erst mit dem Speicherofen konnte die Heizwärme besser im Haus verteilt werden, so dass sich auch die Schlafräume beheizen liessen.

Wie stickig die Luft in den Häusern war, davon zeugen unter anderem die damaligen Betten: Sie sind viel kürzer als die heutigen Modelle. Das liegt nicht etwa daran, wie häufig vermutet, dass die Menschen damals viel kleiner waren als heute: Sie schliefen halb aufrecht, um im Schlaf nicht zu ersticken. Chronische Atemwegserkrankungen aufgrund der offenen Feuerstellen waren so weit verbreitet, dass die Leute den «stillen Tod» in der Nacht fürchteten. Lüften konnte man auch nicht, ohne dass die Heizwärme entwich – damals gab es für arme Schichten noch keine Fenster.

Die offene Feuerstelle war sehr lange Standard. Die Erfindung des Ofens bedeutete einen Quantensprung in Sachen Wohnkomfort.


BEENGTE UND UNHYGIENISCHE WOHNVERHÄLTNISSE IN STÄDTEN

Auch die meisten Stadtbewohner lebten in sehr einfachen Verhältnissen. Sie lebten in kleinen Wohnungen, häufig in mehrstöckigen Häusern – natürlich ohne eigene Toilette oder Waschgelegenheit. Die mangelnde Hygiene und das enge Zusammenleben begünstigten Krankheiten wie Cholera. Die Verhältnisse sind aus heutiger Sicht unvorstellbar. Die Fäkalien landeten einfach in den Gassen, wo sie – je nach Stadt – nachts immerhin eingesammelt und entsorgt wurden. Auch leitete man Abwasser offen durch die Strassen, bis sie in ein Gewässer gelangten. Von diesen Zuständen zeugen noch heute Namen wie das «Schiissigässli» in der Zuger Altstadt.

Von Privatsphäre konnten die Menschen im Mittelalter nur träumen – die Häuser und Wohnungen waren meist überfüllt. Deshalb spielte sich ein Grossteil des Lebens ausserhalb der Häuser und Wohnungen ab. Das «Gewusel» auf den Strassen war gross – wohl ähnlich wie heute an der Zürcher Bahnhofstrasse.

Foto: Baugeschichtliches Archiv ZH/ Wolf Benders Erben
Foto: Baugeschichtliches Archiv ZH/ Wolf Benders Erben
Foto: Baugeschichtliches Archiv ZH

Ab den 1950ern wurden auch die Wohnungen der einfachen Leute komfortabel.

Apropos Bahnhofstrasse: Natürlich wohnten nur die armen Leute in so prekären Verhältnissen. Die Häuser von reichen Familien hatten oft mehrere Stockwerke und waren viel geräumiger. Die Räumlichkeiten waren prunkvoll ausgestattet und verfügten nicht nur über mehrere Schlafzimmer, sondern oft auch einen Saal für Bankette und andere Annehmlichkeiten. Nicht nur die Herren- und Landhäuser, auch die Stadtwohnungen reicher Bevölkerungsschichten wiesen markant mehr Komfort auf. Wohlhabende Familien konnten sich neue Errungenschaften wie Wasserleitungen, Toiletten oder Gasherde leisten, während die breite Bevölkerung lange darauf warten musste.

INFO

WER HAT’S ERFUNDEN?

  • Kachelofen: Die Römer erfanden den Kachelofen, weiterentwickelt wurde er im Mittelalter.
  • Zentralheizung: Als Erfinder der modernen Zentralheizung gilt William Strutt (1793). Vorläufer der Zentralheizung gibt es aber schon seit Jahrtausenden, u.a. im alten Korea und in Rom.
  • Einbauschrank: 1900 liess William Murphy einen Schrank mit integriertem Bett patentieren.
  • Geschirrspüler: Entwickelt wurde die erste funktionierende Maschine von Josephine Cochrane (1886).
  • Waschmaschine: Im 18. Jahrhundert wurden erste manuell betriebene Waschmaschinen entwickelt. Für die erste elektrisch betriebene Maschine erhielt Alva J. Fisher 1910 das Patent.
  • Kühlschrank: Er wurde von Carl von Linde im Jahr 1876 erfunden, zunächst für die Lebensmittel- und die Getränkeindustrie.
  • Wärmepumpe: Sie wurde Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts von verschiedenen Erfindern entwickelt und diente lange als Eismaschine mit Heizfunktion. 1945 kamen die ersten erdgekoppelten Wärmepumpen auf den Markt.


MIT DER INDUSTRIALISIERUNG ENTSTAND ERSCHWINGLICHER WOHNRAUM

Erst ab dem 17. Jahrhundert begannen sich die Wohnverhältnisse in den armen Schichten zu verbessern. Nicht nur die Strassen wurden breiter, auch die Häuser wurden höher und geräumiger. Mit der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert entstanden ganze Stadtteile und Vorstädte, in denen bessere Wohnungen gebaut wurden. Richtig Schwung nahm diese Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg auf. Es entstanden zahlreiche neue Wohnungen, um den Bedarf nach erschwinglichem Wohnraum zu decken.

Die sanitären Einrichtungen verbesserten sich, dank Zentralheizung und flächendeckender Stromversorgung erhöhte sich die Lebensqualität massiv. Ab Mitte des 20. Jahrhunderts wurden Wohnungen mit Strom, fliessendem Wasser und Heizung zum Standard.

INFO

WIE SICH GRUNDRISSE VERÄNDERTEN

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Wohnungen grösser und komfortabler – und liessen mehr Gestaltungsmöglichkeiten zu. Der klassische Grundriss mit geschlossener Küche, Stube, kleinen Nasszellen und Schlafzimmern veränderte sich in den letzten Jahrzehnten hin zu offeneren und grösseren Wohnräumen. Die Wände zwischen Küche, Ess- und Wohnbereich fielen weg, um einen luftigen grossen Raum zu schaffen. Mehr Stauraum entstand mit Einbauschränken und «Reduits». Auch ist es heute ab einer gewissen Wohnungsgrösse Standard, zwei Badezimmer zu haben. Das Elternschlafzimmer wurde zum «Master Bedroom», gerne mit eigenem Bad. Ebenso populär wurde das Ankleidezimmer sowie der eigene Waschturm.  


MEHR WOHNFLÄCHE PRO KOPF

Nicht nur der Komfort, auch die Wohnfläche pro Kopf veränderte sich in den vergangenen Jahrhunderten stark. Die Industrialisierung im 19. Jahrhundert benötigte Fabrikarbeiter en masse – es fand eine Urbanisierung statt. Die Leute strömten also vom Land in die Städte, wo sie Arbeit fanden. Der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum stieg – und als Antwort darauf entstanden die ersten Mietskasernen. Oft wohnten die Leute darin sehr beengt.

Erst im Laufe des 20. Jahrhunderts stieg die Wohnfläche pro Kopf. In den 1960ern und 1970ern zogen viele Schweizer Familien aufs Land und bewohnten dort Einfamilienhäuser – der Pro-Kopf-Flächenverbrauch stieg rasant an. Heute beträgt die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf in der Schweiz rund 46 Quadratmeter.