Warum wir unser Zuhause lieben
Zahlreiche Faktoren beeinflussen die Wohnqualität, von der Architektur über die Sicherheit bis zur Nachbarschaft. Wie fühlen wir uns zuhause und in unserer Umgebung wohl – und was lässt sich dafür konkret tun?
Text — Tanja Seufert
EIN SICHERES UND BEHAGLICHES EIGENHEIM
Aus Sitcoms wie «King of Queens», «Friends» oder «Modern Family» lässt sich nicht nur etwas über den amerikanischen Lebensstil lernen – wer genauer hinsieht, entdeckt darin viele Zutaten eines glücklichen Zuhauses: gemütliche Wohnräume, eine sichere Umgebung und ein reges Sozialleben. Vielleicht ist das der Grund, weshalb diese Serien so beliebt sind. Schliesslich wünschen sich wohl die meisten Menschen genau das: ein Zuhause, in dem man sich angenommen, sicher und wohl fühlt. Doch wie lässt sich dieses Gefühl fördern – und was sollte man vermeiden? Damit beschäftigt sich die Wohn-, Architektur- und Umweltpsychologie.
DIE EXPERTIN
Alice Hollenstein*
«VERKEHRSARME UMGEBUNG IST FÜR FAMILIEN SEHR WICHTIG»
Was ist Wohnpsychologie? Und wie lässt sich das Wohlbefinden im Eigenheim verbessern? Die Psychologin Alice Hollenstein*, auf Umwelt- und Architekturpsychologie spezialisiert, kennt die Antworten.
Frau Hollenstein, wie lassen sich die eigenen vier Wände so gestalten, dass man sich darin wohler fühlt – ohne dass gleich ein Umbau nötig ist?
In der Wohnpsychologie geht es darum, eine Wohnsituation so zu gestalten, dass diese den Bedürfnissen der Menschen entspricht. Wir unterscheiden drei Kategorien: erstens die physiologischen Bedürfnisse, zum Beispiel nach einer angenehmen Temperatur und Beleuchtung. Zweitens die psychologischen Bedürfnisse, etwa nach Privatsphäre und Sicherheit. Und drittens die sozialen Bedürfnisse, damit sind beispielsweise die nachbarschaftlichen Beziehungen gemeint. Insbesondere auf die physiologischen und psychologischen Bedürfnisse kann man selbst viel Einfluss nehmen, zum Beispiel durch ein gutes Licht- oder Sichtschutzkonzept oder indem man Abläufe im Haus effizient gestaltet.
Die meisten Menschen sind ambivalent. Sie möchten zwar Kontakt zu Nachbarn, aber auch ihre Ruhe. Wie geht man damit um?
Es ist wichtig, dass man Kontakte regulieren kann – dass Kontakte also möglich, aber freiwillig sind. Privatsphäre schafft man zum Beispiel mit halbhohen Hecken und Vorhängen. Doch wer den Garten beispielsweise mit einer hohen Thujahecke abgrenzt, schottet sich ab und ist dadurch attraktiver für ungebetene Gäste. Denn Einbrecher bevorzugen Häuser, die von aussen schlecht einsehbar sind. Es ist also ein Abwägen zwischen Nähe und Distanz.
Stichwort Garten: Was ist im Aussenraum wichtig?
Grundlage ist eine gute Zonierung in privaten, gemeinschaftlichen und öffentlichen Raum. Eine gewisse Interaktion mit den Nachbarn ist wünschenswert. Ich persönlich finde es immer schön, wenn ein privates Grundstück quasi einen Beitrag für die Gemeinschaft leistet, sei es in Form einer kleinen Sitzbank oder einiger schöner Blumentöpfe, die Passanten etwas zum Entdecken bieten. Ein vielfältig und naturnah gestalteter Garten, zum Beispiel mit unterschiedlichen Schnitthöhen, mit Blumen und kronenartigen Bäumen, macht glücklich. Man weiss, dass Gartenarbeit und der Blick ins Grüne, sofern dieses nicht zu nahe am Fenster ist, den Abbau des Stresshormons Cortisol fördert. Gartenarbeit hilft also gegen Stress – solange man ein entspanntes Verhältnis dazu hat und nicht überall unerledigte Arbeit sieht.
Einrichtungen lassen sich verändern. Doch was, wenn bei einem Um- oder Neubau unterschiedliche Bedürfnisse aufeinandertreffen?
Dann setzt man sich gemeinsam an einen Tisch – wie bei der Ferienplanung. Bei Differenzen kann es sinnvoll sein, sich an eine sichere, bewährte und durchschnittliche Gestaltung zu halten. Hierzu zählen zum Beispiel Häuser mit Giebeldächern im Landhausstil oder moderne schlichte Bauten. Grundsätzlich rate ich, nicht zu spezifisch zu bauen, da sich Bedürfnisse verändern können und es immer wieder zu Situationen kommt, in denen ein Haus verkauft werden muss. Im Innenraum sollte man auf eine flexible Nutzbarkeit achten. Kammerartige Grundrisse, deren Räume sich flexibel trennen und verbinden lassen – zum Beispiel mit Schiebetüren – lassen sich leichter an veränderte Bedürfnisse anpassen.
Worauf sollten Familien sonst noch achten?
Das Thema Nachbarschaft ist für Familien ganz zentral. Es ist für Eltern sehr entlastend, wenn andere Familien im Quartier wohnen. Auch Sicherheit spielt eine sehr grosse Rolle. Im Idealfall sehe ich vom Küchenfenster aus, wo meine Kinder gerade spielen. Gleichzeitig können sie mit steigendem Alter selbstständig ihren Aktionsradius erweitern, ohne dass sie vom Strassenverkehr blockiert oder gar gefährdet werden.
Es gibt viele Studien darüber, dass dieses eigenständige Entdecken die Kreativität, Intelligenz und die sozialen Fähigkeiten stärkt. Deshalb ist eine verkehrsarme oder verkehrsberuhigte Umgebung für Familien so bedeutend.
*Alice Hollenstein hat ein eigenes Beratungsunternehmen und ist u.a. für Immobilienfirmen, private Bauherrschaften, Architekturbüros und Gemeinden tätig. www.urbanpsychology.com
WAS IST EIGENTLICH GEMÜTLICH?
Als behaglich nehmen wir Wohnräume wahr, wenn sie uns stimulieren – aber nicht überreizen. Was man als angenehm empfindet, ist individuell, grundsätzlich mögen die meisten Menschen aber eine komplexe Umgebung, die sie nach eigenem Geschmack verändern können. Eine sterile Einrichtung behagt den wenigsten. Das haben auch die meisten Möbelhäuser erkannt. Sie präsentieren ihre Produkte zunehmend in einer als authentisch empfundenen Wohnumgebung, indem sie zum Beispiel Bücher ins Regal stellen, Kinderzeichnungen aufhängen oder ein Plaid übers Sofa werfen. Sich selbst so einzurichten, wie man’s mag, wird in der Wohnpsychologie als «Aneignen» oder «Personalisieren» bezeichnet – und ist einer der wichtigsten Faktoren für das Wohlbefinden zuhause.
Deshalb ist es zum Beispiel wichtig, dass Teenager ihr Zimmer selbst gestalten können. Doch haben viele Halbwüchsige Probleme damit, ihr Reich ordentlich zu halten. «Räum dein Zimmer auf!» gehört wohl zu den häufigsten elterlichen Aufforderungen. Nicht zu Unrecht: Denn Wohnräume sollen zwar reizvoll sein, aber nicht überreizen. Wer ständig Verlegtes suchen muss, ist gestresst. Und eine vollgestellte Umgebung beengt.
STIMULATION: GENAU RICHTIG, BITTE
Auch Lärm und häufige Unruhe sind Gift fürs Wohlbefinden – vor allem für Kinder. Je kleiner sie sind, umso mehr sollten sie vor Reizüberflutung geschützt werden. So schreibt Antje Flade in ihrem Standardwerk «Wohnen psychologisch betrachtet»: «Erwachsene können im Unterschied zu Kindern ungünstige Bedingungen – sei es in Form von zu viel oder zu wenig Stimulation – weitaus eher verkraften oder ihnen aus dem Weg gehen. Zuviel Stimulation kommt vor allem durch übermässige Geschäftigkeit, Lärm und Beengtheit in der Wohnung zustande. Im Kleinkindalter ist ein Reizschutz (stimulus shelter) wichtig, um eine Überfülle an Stimulation abzuwehren.»
INFO
WAS HABEN TIERE UND PFLANZEN MIT UNSEREM WOHLBEFINDEN ZU TUN?
Haustiere, die gerne mit Menschen interagieren – vor allem Hunde und Katzen – gelten heute als Sozialkontakte. Mit dem Hund zu spielen oder eine schnurrende Katze zu streicheln, entspricht unserem tief verwurzelten Bedürfnis, uns mit anderen auszutauschen. Doch auch Haustiere wollen ihre Kontakte regulieren und kommunizieren dies mit ihrer Körpersprache. Pflanzen indes sind keine Gesprächspartner – obwohl manche dies bestreiten –, sondern fördern das Wohlbefinden durch ihre blosse Präsenz. Das Grün der Pflanzen beruhigt das Gemüt und mindert den Stress. Das gilt übrigens auch für das Blau von Wasser und Himmel. Zimmerpflanzen sowie ein naturnah bepflanzter Garten mit Wasser schaffen deshalb eine stimmige Umgebung.
WER SICH SICHER FÜHLT, IST GLÜCKLICHER
Apropos Schutz: Wohnzufriedenheit hat viel mit Sicherheit zu tun – die, das eigene Zuhause nicht aufgeben zu müssen, und die, zuhause vor Kriminalität und anderen Gefahren geschützt zu sein. Bei ersterem sind Eigentümerinnen und Eigentümer naturgemäss im Vorteil, doch auch hier kann zum Beispiel durch eine Trennung Ungemach drohen. Während sich solche Risiken kaum beeinflussen lassen, kann der Schutz vor Einbrüchen und Naturgefahren durch bauliche Massnahmen und Verhaltensanpassungen verbessert werden.
SOZIALKONTAKTE MÜSSEN FREIWILLIG SEIN
Auf den öffentlichen Raum lässt sich nur begrenzt Einfluss nehmen. Ist Abschottung die Lösung? Mitnichten. Der Mensch ist ein soziales Wesen und braucht den Austausch mit anderen. Dass Interaktionen ausserhalb der eigenen vier Wände möglich sind, ist deshalb ein entscheidendes Kriterium für Wohnqualität. Eine gute Nachbarschaft verstärkt das Gefühl von Sicherheit und sozialer Akzeptanz.
Dabei ist es wichtig, dass sich Kontakte regulieren lassen. Hellhörige Wohnräume, fehlende Abgrenzungen im Aussenraum und mangelhafter Sichtschutz führen zu unerwünschten Sozialkontakten. Diese «Zwangsbeglückung» mit anderen, vor allem mit fremden Menschen kann zu grossem Stress führen. Dabei helfen oft einfache Massnahmen wie ein ausreichender Sichtschutz. Eine gute Balance zwischen Offenheit und Privatsphäre lässt sich auch schaffen, indem man vor dem Haus einen einladenden Bereich gestaltet. Ein gut einsehbarer Vorgarten mit Blumen und Sitzbank gibt den Nachbarn das Gefühl, willkommen zu sein – und schreckt erst noch Einbrecher ab.
WEITERFÜHRENDE INFORMATIONEN
- HAUSmagazin: So wappnen Sie Ihr Haus gegen Einbrecher
- HAUSmagazin: Mehr Wohlbefinden zuhause