Was ist Lärm?
Wenn’s knallt, kreischt, heult und pfeift, schlägt unser Herz merklich schneller. Auf Lärm reagiert der Körper. Aber was macht Lärm konkret mit uns – und wo kommt er her?
Text — Tanja Seufert
Über eine Million Menschen leben in der Schweiz an einem Ort, der zu laut ist – also die Grenzwerte für Lärm überschreitet. Die sogenannten Immissionsgrenzwerte legen fest, ab wann Lärm das Wohlbefinden erheblich stört. Sie betragen in reinen Wohngebieten 60 Dezibel tagsüber und 50 Dezibel nachts (Jahresmittelwerte). Doch warum ist Lärm überhaupt so schlimm? Erst in den letzten Jahren wurde das Thema auf breiter Ebene erforscht – mit eindeutigen Resultaten.
GESUNDHEITLICHE FOLGEN VON LÄRM
Lärm schadet der Gesundheit nicht nur durch direkte Lärmschäden, wie zum Beispiel eine Gehörschädigung nach einem lauten Knall. Gefährlich ist vor allem der andauernde Lärm. Er versetzt den Körper in permanente Alarmbereitschaft: Stresshormone werden ausgeschüttet, Herzrate und Blutdruck steigen an. Die Folgen sind Erkrankungen wie Bluthochdruck und Diabetes. So verursacht Lärm in der Schweiz jedes Jahr 1,3 Milliarden Franken Gesundheitskosten.
INFO
BELASTUNGSGRENZWERTE FÜR LÄRM IN DER SCHWEIZ
Die Belastungsgrenzwerte sind in der Lärmschutz-Verordnung (LSV) verankert und stützen sich auf das Umweltschutzgesetz (USG). Dieses definiert drei Arten von Belastungsgrenzwerten:
- Planungswerte gelten für die Errichtung neuer lärmerzeugender Anlagen und für die Ausscheidung und Erschliessung von Bauzonen für lärmempfindliche Gebäude (Wohnungen).
- Immissionsgrenzwerte legen die Schwelle fest, ab welcher der Lärm die Bevölkerung in ihrem Wohlbefinden erheblich stört. Sie gelten für bestehende lärmerzeugende Anlagen und für Baubewilligungen von lärmempfindlichen Gebäuden (Wohnungen).
- Alarmwerte sind ein Kriterium für die Dringlichkeit der Sanierungen und den Einbau von Schallschutzfenstern.
STRASSENVERKEHR ERZEUGT AM MEISTEN LÄRM
Hauptverursacher von Lärm ist der Strassenverkehr – und dieser nimmt in der Schweiz stetig zu, ebenso wie die Verdichtung. Mehr Menschen bedeuten mehr Lärm. Gleichzeitig steigt das Ruhebedürfnis, es gibt zunehmend Beschwerden und Einsprachen. «Wo man wohnt, will man Ruhe», sagt Peter Angst von der Fachstelle Lärmschutz des Kantons Zürich (siehe Interview). Aber wo gibt es das noch?
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RUHIG, DAFÜR ABGELEGEN
Eine sehr ländliche Umgebung garantiert keine Ruhe: So ärgern sich zum Beispiel die Bewohnerinnen und Bewohner von Sternenberg – der höchstgelegenen Gemeinde des Kantons Zürich und aus dem gleichnamigen Film bekannt – im Sommerhalbjahr über Motorradfahrer und «Auto-Poser», die mit ihren aufgemotzten Fahrzeugen durch die idyllische Landschaft röhren. Doch ausserhalb von Hauptverkehrsachsen und einschlägig bekannten Ausflugsrouten gibt es sie durchaus, die ruhigen Fleckchen. «Irgendwo im Nirgendwo» ist es zwar ruhig, aber eben auch abgelegen. Für einen Vorteil bezahlt man mit einem Nachteil. Tiefere Immobilienkosten, dafür höhere Mobilitätskosten (und mehr Lärm für die anderen). Keine Nachbarn, dafür keine «Hast du mir 100 Gramm Butter?». Keine Strassen, aber auch weder Supermarkt noch Sushi-Restaurant. Die Ökonomin sagt dem «Opportunitätskosten», der Büezer «Chasch ned de Füfer und s’Weggli ha».
INFO
LANGSAMER FAHREN: WAS BRINGT’S?
Tempo 30 ist bei vielen Autofahrenden unbeliebt – aber hilft effizient gegen Lärm. Was viele nicht wissen: Es ist nicht nur der Motor, der Lärm macht, sondern vor allem die Reifen. Ab ca. 25 km/h sind sie lauter als der Motor. Ein Grund auch, weshalb Elektroautos bei langsamem Fahrtempo ein digitales Motorengeräusch von sich geben. Sie wären ansonsten praktisch lautlos unterwegs und damit eine Gefahr für Velofahrer und Fussgänger. Bei Geschwindigkeiten über 25 km/h sind Elektroautos aber gleich laut wie andere Autos. Tests und Vergleichsstrecken zeigen, dass Tempo 30 nicht nur bei Lärm nützt, sondern auch den gesamten Strassenraum und die Ortszentren aufwertet.
ERREICHBARKEIT MIT PRIVATEM UND ÖFFENTLICHEM VERKEHR
Die wertvollste Liegenschaft ist grundsätzlich an «sehr zentraler, aber ruhiger» Lage: am besten also ein Einfamilienhaus mit Umschwung in der autofreien Altstadt am See … Wer nicht über das nötige Kleingeld für ein solches Kleinod verfügt, macht mit einer Immobilie an eher ruhiger, gut erschlossener Lage nicht viel falsch.
Sprich, das Haus steht weder an der Hauptstrasse noch unter der Anflugschneise, und die nächste Stadt sollte mit ÖV und/oder Auto relativ schnell erreichbar sein.
VON KLÄFFERN UND LAUBBLÄSERN
Nicht immer sind Lärmquellen offensichtlich. So kann eine wenig befahrene Strasse durchaus viel Lärm verursachen, wenn sie steil und kurvig ist – oder, wie jene in Sternenberg, an schönen Wochenenden zur Ausflugsroute wird. Noch unberechenbarer ist Lärm, der von der Nachbarschaft ausgeht, sei es in Form von Hunden, Güggeln oder Partylöwen – ganz zu schweigen vom exzessiven Gebrauch motorisierter Gartengeräte wie Laubbläsern und Rasenmähern. Wie man mit diesen Lärmquellen umgeht, erfahren Sie in «Was tun gegen Lärm?»
DER EXPERTE
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Peter Angst
Leiter Fachstelle Lärmschutz der Baudirektion Kanton Zürich
«Lärm verkürzt das Leben»
Peter Angst, was empfinden wir als Lärm – und warum nehmen wir ihn so unterschiedlich wahr?
Die DIN-Norm definiert Lärm als unerwünschten Hörschall, der stört, belästigt, beeinträchtigt oder schädigt. Ob wir ein Geräusch als Lärm empfinden, hängt auch vom persönlichen Empfinden ab. Zum einen sind wir nicht alle gleich sensibel, auch Krankheiten oder allgemein die körperliche Verfassung beeinflussen unser Empfinden. Zum andern haben wir alle unterschiedliche Prägungen. Als Sohn eines Mechanikers bei der früheren Swissair ist Fluglärm für mich zum Beispiel viel weniger schlimm als jemand, der im Zug laut telefoniert. Für manche ist ein Töff Musik in den Ohren, für andere schlicht Lärm. Die Einstellung spielt eine grosse Rolle: Habe ich einen Bezug zu diesem Geräusch? Hat das Geräusch einen guten Grund – empfinde ich zum Beispiel die Baustelle vor dem Haus als sinnvoll oder unnötig? Nicht zuletzt nehmen wir rauschenden Lärm wie einen Wasserfall anders wahr als ein Geräusch mit Tönen, wie laute Musik, oder mit Impulsen, wie Hämmern, Hundegebell oder ein Knall.
Das heisst, ein lautes Konzert ist kein Problem, wenn ich die Musik liebe?
Leider ist man auch mit einer positiven Einstellung nicht vor Lärmschäden wie einem Tinnitus oder Hörschaden gefeit. Durch laute Geräusche werden Stresshormone ausgeschüttet, was zu Erkrankungen wie Bluthochdruck führen kann. Ab einem gewissen Lärmpegel hat man körperliche Reaktionen – auch dann, wenn Sie das Geräusch nicht als störend empfinden.
Wie sehen diese Reaktionen denn aus?
Heute wissen wir, dank zahlreicher Studien im In- und Ausland, was Lärm anrichten kann. Tausende von Menschen wurden über Jahre untersucht, um die gesundheitlichen Auswirkungen von Lärm zu verstehen. So verursacht lange andauernder Lärm Bluthochdruck, Schlafstörungen, Herzkreislauferkrankungen und Diabetes. Lärm wirkt lebensverkürzend. Kinder, die Lärm ausgesetzt sind, können Entwicklungsverzögerungen aufweisen, wie in Kindergärten im Flughafenbereich festgestellt wurde.
Über welche Art Lärm beschweren sich die Leute am meisten?
In unserer Fachstelle ist dies der Strassenverkehrslärm. Hier treffen wir auch die meisten Massnahmen, zum Beispiel durch die Finanzierung von Schallschutzfenstern, durch lärmreduzierende Strassenbeläge oder durch Temporeduktionen. Bei Letzteren sind vermehrt auch andere Interessen ausschlaggebend, etwa mehr Sicherheit oder allgemein eine höhere Aufenthaltsqualität. Gemäss Gesetz sind Schallschutzfenster aber nur eine Ersatzmassnahme, wenn keine Möglichkeiten zur Lärmminderung an der Quelle vorhanden sind. Ein grosses Thema zurzeit sind Autoposer, die mit lauten Fahrzeugen unterwegs sind.
Warum kann man laute Fahrzeuge nicht einfach verbieten?
Da sind den Behörden, ausser bei illegal abgeänderten Fahrzeugen, die Hände gebunden. Es gibt Vorschriften, die in zahlreichen UN-Reglementen und EU-Vorschriften festgehalten sind. Werden diese Vorschriften eingehalten, erhält ein Fahrzeug eine Typengenehmigung. Die Schweiz ist aufgrund internationaler Verträge verpflichtet, Fahrzeuge mit einem entsprechenden Nachweis ohne weitere Prüfung zuzulassen. Es gibt keinen Grenzwert, mit dem man beurteilen könnte, ob eine einzelne Vorbeifahrt zu laut ist.
Apropos Poser, gibt es Unterschiede zwischen Stadtlärm und Landlärm?
In der Stadt besteht sicher eine Massierung des Lärms. Gemäss Bund leben 85 % der Lärmgeplagten in der Stadt. Man lebt dichter, wodurch auch mehr Lärm entsteht. Auf dem Land ist Lärm eher punktuell, vor allem entlang von Strassen, und hat teilweise auch andere Quellen, man denke an Schiessplätze, Laubbläser, Rasenmäher oder Kirchenglocken. Und wir haben eben auch Poser-Strecken in sehr ländlichen Gebieten – also ausgerechnet dort, wo man sich Ruhe erhofft.
Städter ziehen oft der Ruhe wegen aufs Land.
Und kaufen manchmal Liegenschaften, ohne den Ort wirklich zu kennen. Sie ziehen in eine vermeintlich ruhige Gegend und beschweren sich anschliessend über den benachbarten Sportplatz oder die Kuhglocken …
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