Entertainment
Gamen wir auch in Zukunft noch am PC oder an der Spielkonsole? Welche Rolle übernimmt die KI? Und dominieren auch künftig Shooter- und Sportspiele den Markt? Alice Ruppert* wagt einen Blick ins Gaming der Zukunft
Interview — Tanja Seufert
*Alice Ruppert
ist Präsidentin der Swiss Game Developers Association SGDA. Ihren Abschluss in Game Design machte sie 2015 an der Zürcher Hochschule der Künste. Sie macht sich derzeit als Consultant im Bereich Game-Entwicklung und -Marketing selbstständig. www.aliceruppert.ch
«ICH GLAUBE NICHT, DASS WIR KÜNFTIG NUR NOCH MIT DER VR-BRILLE SPIELEN»
Frau Ruppert, wie läuft ein Game in 10 Jahren ab – welche technologischen Fortschritte erwarten Sie?
Ich persönlich finde es spannender, über inhaltliche Entwicklungen zu sprechen als über technologiebasierte. Also: In welche Richtung werden sich die Spielinhalte entwickeln? Wir sehen heute schon eine Demokratisierung der Game-Entwicklung. Dank besserer Tools, die weniger Ressourcen brauchen, kann heute auch ein kleineres Entwicklerteam ein visuell beeindruckendes Spiel machen. Mehr Independent-Entwickler bedeutet mehr Diversität hinsichtlich mechanischer und narrativer Innovationen.
Was meinen Sie damit genau?
Mit Mechanik ist die Spielmechanik gemeint: Wie funktioniert das Spiel? Was passiert, wenn ich einen bestimmten Knopf drücke? Und narrativ bedeutet: Welche Geschichte wird erzählt? Worum geht es in dem Spiel? Zwar entwickelt sich auch die Mainstream-Landschaft stetig weiter. Doch die grössten Produktionen sind heute – neben Sportspielen – immer noch kampforientierte Spiele, zum Beispiel Shooter-Games. Ich glaube, dass hier in Zukunft mehr Vielfalt entsteht. Auf der Hardware-Seite sehen wir eine stetige Entwicklung zu höheren Bildschirmauflösungen und stärkeren Rechnern.
Zum Beispiel VR-Spiele?
Durch körperliche Erfahrungen ist das Spielen in einer virtuellen Realität durchaus spannend, vor allem, wenn ich dabei Gegenstände nutzen und mich durch den Raum bewegen kann. Ich persönlich bin aber nicht davon überzeugt, dass VR den Spielmarkt übernehmen und andere Interfaces ablösen wird. Zwar wird auch diese Technologie künftig mobiler und erschwinglicher, aber in den nächsten Jahren wird VR für den Privatgebrauch eine Nische bleiben – denn die wenigsten Leute haben den Platz und das Geld für ein Equipment, welches das volle Spielerlebnis ermöglicht. Sie werden dafür eher VR Adventure Rooms besuchen, so wie heute bereits.
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IMMERSION: REALITÄT UND FIKTION VERSCHMELZEN
Stereo-Klangübertragung und 3D-Filme waren der Anfang: Mit immersiven Technologien versucht man, möglichst realitätsnahe virtuelle Umgebungen zu schaffen. Mittel zum Zeck sind momentan vor allem die VR-Brillen, die immer kompakter werden und eine immer bessere Bildqualität bieten. Intensiv geforscht wird nun an der virtuellen Netzhautprojektion. Mit dieser Technologie ausgestattete VR-Brillen sind nicht mehr mit Bildschirmen ausgestattet, sondern projizieren ihre Bilder direkt auf die menschliche Netzhaut. Die führt zu täuschend echt wirkenden, gestochen scharfen 3D-Bildern; eine 360-Grad-Rundumsicht ist ebenfalls möglich. Und: Netzhautprojektoren werden wesentlich kleiner sein als die heutigen VR-Brillen. Ziel ist es, dass man sie den ganzen Tag über tragen und auch zur Informations-Einblendung nutzen kann.
Können Sie die Rolle von Künstlicher Intelligenz im Gaming-Bereich beschreiben?
Zunächst einmal: Was versteht man unter KI? In der Game-Entwicklung spricht man seit Jahrzehnten von KI. Gemeint ist damit das programmierte Verhalten von Charakteren, die sich in einem Spiel tummeln. Wir sagen diesen Computer-Charakteren «NPCs» (Non-Playable Character), also nicht spielbare Figuren. Damit ist aber nicht die KI gemeint, über die man heute diskutiert. Im Trend sind heute Large Language Models wie ChatGPT und generative Bild-KI, also Künstliche Intelligenz, die vermeintlich eigene Werke schafft. Aber was ist «echte» KI? Wie definiert man Intelligenz – wann ist ein Tool so komplex, dass man es als KI definieren kann? Und will ich mich in einem Spiel wirklich mit ChatGPT unterhalten? Der Einsatz von KI ist für mich als Game-Designerin eine philosophische Frage. Kunst ist interessant, weil sie Absichten hat, und nicht nur, weil sie existiert. Und Intention braucht menschlichen Einfluss. Das ist in der Game-Entwicklung nicht anders.
Ich sehe eher eine allfällige Nutzung von KI bei der Moderation von Online-Spielen. Je stärker ein virtueller Raum moderiert wird, umso sicherer lässt er sich nutzen – zum Beispiel von Kindern oder auch von Frauen. Ich kenne viele Gamerinnen, die in Online-Spielen aufs Mikrofon verzichten oder Stimmverzerrer benutzen, damit sie nicht als weiblich identifiziert und deshalb belästigt werden. Eine seriöse Moderation kann Online-Räume also sicherer machen, doch das braucht Ressourcen. Hier könnte die KI allenfalls unterstützen. Auch das braucht aber viel Sorgfalt – die leider oft fehlt, wenn es darum geht, möglichst schnell den Nutzen von KI zu beweisen.
Ich hätte nicht erwartet, dass eine Tech-Expertin gegenüber KI so skeptisch ist.
Nun, es gibt sicher auch Kolleginnen und Kollegen, die Ihnen mit mehr Enthusiasmus antworten würden – die Meinungen gehen auseinander. Und dann gibt es immer Experten, die neue Technologien hypen und behaupten, das sei nun das nächste grosse Ding. Häufig sind das Leute, die in irgendeiner Form selber davon profitieren. Ein Hype impliziert auch, dass man mitmachen muss, weil man sonst abgehängt wird. Ich sehe das entspannter: Warte erstmal ab, du musst nicht an vorderster Front dabei sein. Setzt sich etwas wirklich durch – so wie das Smartphone zum Beispiel – wirst du es garantiert mitbekommen.
Welche neuen Formen der Interaktion zwischen Mensch und Maschine könnten in der Zukunft der Unterhaltungselektronik aufkommen – zum Beispiel Gehirn-Computer-Schnittstellen?
Es gibt bereits «Brain Computers», mit denen man Spiele machen kann. Die Technologie existiert. Ich sehe hier aber dasselbe Problem wie bei VR: Ist es genug interessant und praktisch, damit es im Mainstream ankommt? Natürlich sind solche experimentellen Games spannend und haben viel Potenzial – aber nur weil etwas cool ist, heisst es noch nicht lange nicht, dass es sich durchsetzen wird. Von einem Hirncomputer für zuhause sind wir noch weit weg – aber wer weiss, vielleicht wird das mal Realität.
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«EXERGETIC»: SPIELERISCH STÜRZE VERHINDERN
Mit dem Projekt «ExerGetic» der Zürcher Hochschule der Künste sollen Senioren in einer physisch immersiven Spielumgebung, die auf drei sie umgebende Leinwände projiziert wird, simultan Gehfähigkeit und Gleichgewicht sowie kognitive Fähigkeiten trainieren können. Verschiedene Studien haben aufgezeigt, dass das Simultantraining sehr erfolgsversprechend ist. Gleichzeitig kommt ein eigens entwickeltes Sicherheitssystem zum Einsatz, das es erlaubt, Stürze während dem Training zu verhindern. Mit «ExerGetic» wird spielerisch motivierendes und gefahrenfreies Sturzpräventionstraining entwickelt und beforscht.
Welche neuen Arten von Spielen und Unterhaltungsmedien könnten durch die fortschreitende Digitalisierung und Technologisierung entstehen?
Vorstellen kann man sich alles, dazu muss man sich nur ein paar Science-Fiction-Filme ansehen. Aber zuerst muss die Technologie existieren und dann muss diese zugänglich sein. Eine signifikante Innovation in Unterhaltungsmedien waren die Smartphones. Die haben sich durchgesetzt, weil zahlreiche Funktionen Hand in Hand gingen. Man hat alles in einem Gerät, das ist sehr bequem und praktisch. Eine neue Technologie müsste ähnlich erschwinglich und komfortabel sein, und sie müsste gegenüber anderen Technologien klare Vorteile bringen. In diesem Sinne: Ich glaube nicht, dass wir in den nächsten 10 bis 20 Jahren alle einen Hologramm-Raum zuhause haben. Innovationen passieren doch ein bisschen langsamer, als einem gewisse Leute verkaufen wollen.