Zuhause arbeiten
Werden wir in Zukunft hauptsächlich von zuhause aus arbeiten? Welche Fertigkeiten erfordert New Work und wie bleiben wir im Homeoffice gesund? Dr. Sarah Genner* ist Expertin in diesen Fragen.
Interview — Raphael Hegglin
Dr. Sarah Genner
ist Digitalexpertin, Dozentin und Verwaltungsrätin. Ihr Spezialgebiet sind die Auswirkungen digitaler Medien und Technologien auf Mensch, Gesellschaft und Arbeitswelt. Sie ist als Brückenbauerin zwischen Wissenschaft, Bildung und Praxis unterwegs. www.sarah.genner.cc
«WOHNRAUM WIRD HEUTE VERMEHRT SO GEPLANT, DAMIT MAN DARIN GUT ARBEITEN KANN»
Als Digitalexpertin arbeiten Sie oft selbst von zuhause aus. Wie sieht Ihr Homeoffice aus?
Ich bin sehr viel unterwegs und arbeite eher im Remote Office, also an verschiedenen Orten und mit dem Laptop. Richtig bequem zu sitzen, ist für mich daher eine schöne Abwechslung, genauso, wie den Überblick zu haben. Der ergonomische Bürostuhl, der grosse Bildschirm und eine Kanban-Wand sind deshalb die zentralen Elemente in meinem Homeoffice. Zudem habe ich eine Speziallampe, um mich bei Videocalls besser auszuleuchten, und mit einem externen Mikrofon plus Kopfhörer wird mein Homeoffice sogar zum Podcast-Studio.
Was sind Ihrer Meinung nach die grössten Veränderungen, die uns in den nächsten 10 bis 20 Jahren im Bereich Homeoffice erwarten?
Hierzu passt mein Lieblingszitat: «Die Zukunft ist schon da, sie ist nur ungleich verteilt.» Meine Vermutung ist, dass der Trend von gut ausgestatteten Homeoffices noch zunehmen wird: Wohnraum wird heute vermehrt so geplant, damit man darin gut arbeiten kann. Bürotechnik wird von einigen Arbeitgebern bereits jetzt fürs Homeoffice mitfinanziert: seien es gute Laptops, Dockingstations, Bildschirme oder andere Gadgets. Doch ich hoffe, sie werden künftig dem unterschätzten Thema Ergonomie mehr Rechnung tragen. Was ich ebenfalls sehe: Mit Coworking-Abos werden Firmen ihren Mitarbeitenden eine Alternative zu Homeoffice und Unternehmensstandort bieten. Zudem steigen die Investitionen in Immobilien in Bahnhofsnähe, wo man an gewissen Tagen ins Büro pendeln kann und gleichzeitig etwas weiter vom Unternehmensstandort entfernt wohnt, als vor dem Homeoffice-Boom.
Wo werden die Menschen Ihrer Meinung nach in Zukunft mehr Arbeitszeit verbringen: zu Hause oder in der Firma?
Im Moment sehen wir einen Trend in Richtung hybride Modelle: eine Kombination aus Büro- und Homeoffice-Tagen. Das Aushandeln der richtigen Mischung ist je nach Organisation und Branche anspruchsvoll, aber zentral. Ich rechne nicht mit einer grossen Verschiebung von Berufen und Arbeitsfeldern, da beispielsweise in den USA Remote Work aufgrund grosser Distanzen lange vor Covid-19 zur Normalität gehörte.
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TRENDUMKEHR: RÜCKZUG AUFS LAND
Urbanisierung gilt als einer der Megatrends dieses Jahrhunderts. Hauptgrund dafür ist nicht, dass Menschen am liebsten in grossen Städten leben, sondern dass es dort am meisten Arbeit gibt. Die fortschreitende Digitalisierung und neue Technologien rund ums Homeoffice könnten eine teilweise Trendwende bewirken. Zu diesem Schluss kommt unter anderem die Studie «Wie Remote Work beeinflusst, wo und wie wir in Zukunft wohnen» des Bundesamts für Wohnungswesen BWO und einiger Kantone. Laut Studie können insbesondere Klein- und Mittelzentren, also preisgünstigere Städte, als Lebensraum gefragter werden. Eine höhere Nachfrage werde zudem in weniger dichten Agglomerationsräumen sowie in touristischen Räumen zu beobachten sein. Kurzfristige Umwälzungen im Wohnungsmarkt und in der Wohnstandortwahl würden jedoch nicht erwartet.
Wird künftig auch ausserhalb der klassischen Bürojobs Heimarbeit möglich sein?
Homeoffice ist tatsächlich in erster Linie ein Thema für klassische Bürojobs. Ein Grossteil der Schweizer Bevölkerung kann aufgrund ihrer Tätigkeit nicht ins Homeoffice. Dafür gibt es viele Beispiele: Pflege und Chirurgie, Montage, Landwirtschaft, Haarsalon, Bau, Reinigung. Natürlich gibt es auch futuristische Tele-Anwendungen in Medizin und Wartung, aber ich erwarte dort keine rasche Revolution.
Wird es durch Homeoffice auch zu neuen Lebensentwürfen und Wohnformen kommen?
Es ist bereits heute feststellbar, dass das digitale Nomadentum oder Workations – das Arbeiten auf Reisen – in einigen Firmen eine akzeptierte Form der temporären Verschiebung des Arbeitsortes werden und dass sich einige Angestellte vermehrt in der Ferienwohnung aufhalten und von dort aus arbeiten. In Rand- und Bergregionen macht man sich berechtigte Hoffnungen, dass wieder Menschen zuziehen, die eigentlich nicht dort arbeiten. Davon dürften auch Coworking-Spaces profitieren.
Stichwort New Work: Welche Anforderungen muss privater Wohnraum in Zukunft erfüllen?
Es muss genügend Platz da sein, damit man zumindest ins Schlafzimmer einen kleinen Arbeitstisch stellen kann. Eine abschliessbare Tür ist im Homeoffice gerade für Videocalls wichtig. Und ein guter Bürostuhl muss sein. Wer ausreichend Platz hat, trennt Arbeiten und Wohnen auch zuhause.
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BEWEGUNGSMANGEL: HOMEOFFICE KANN GESUNDHEIT GEFÄHRDEN
Schon heute bewegen sich die meisten Menschen zu wenig und sitzen zu lange. Durch das Arbeiten zu Hause dürfte sich dieses Problem verschärfen. Neue Geräte, durch die man sich während der Arbeit bewegen kann, sollen dem entgegenwirken. In Entwicklung befinden sich unter anderem Balance Boards, welche die Rumpfmuskulatur stärken und die Koordination fördern, Schreibtische mit integrierten Steppern, Fahrrädern oder Laufbändern sowie Fitnessgeräte für den Schreibtisch wie kleine Hanteln, Widerstandsbänder und andere leicht zu handhabende Geräte, die kurze Bewegungspausen während der Arbeit ermöglichen. Bereits erhältlich ist Walkolution, ein Schreibtisch mit integriertem Laufband.
Welche Fertigkeiten müssen wir erlangen, um erfolgreich von zuhause aus arbeiten zu können?
Selbststeuerung ist zentral: Können wir dafür sorgen, dass wir uns genügend Pausen gönnen, dass wir uns genug bewegen und frische Luft schnappen? Dass wir uns gesund ernähren und genügend soziale Interaktionen haben, obwohl wir zuhause arbeiten? In Zukunft werden wir vermutlich im Homeoffice weniger sitzen und so arbeiten, dass wir mehr Bewegung haben. Denn Sitzen gilt als das neue Rauchen. Mehr Bewegung kann beispielsweise mit ultraleichten Virtual-Reality-Brillen gelingen, wie sie heute noch nicht existieren. Heute braucht es hingegen ganz schön viel Selbstdisziplin und ein gutes Gespür dafür, was uns gut tut.
Wie lässt sich eine gesunde Work-Life-Balance im Homeoffice aufrechterhalten?
Ich erhalte oft Anfragen zum Thema Digital Detox, weil viele mit der ständigen digitalen Erreichbarkeit nicht umgehen können. Persönlich glaube ich nicht, dass ein Verzicht auf digitale Technologien mehr Balance in unser vernetztes Leben bringt. Ich halte jedoch Prioritäten für eine Superkraft: Um den Fokus inmitten zahlloser digitaler Ablenkungen zu behalten, ist es wichtig, Prioritäten zu setzen und ungestörte Zeit für diese Prioritäten einzuplanen – Zeit für Beziehungen, Familienessen, Arbeit und Schlaf. Ich empfehle, einmal die fünf wichtigsten Prioritäten im Leben aufzuschreiben und diese am Jahresende zu überprüfen. Zudem kann man rund um den Jahreswechsel fünf Dinge aufschreiben, auf die man sich im kommenden Jahr konzentrieren möchte. Genauso hilfreich ist es, sich stets klar darüber zu sein, was die Prioritäten der Woche oder des Arbeitstages sind. Eine Tagespriorität kann durchaus darin bestehen, im Homeoffice rechtzeitig Feierabend zu machen, weil man danach zum Sport geht oder Freundschaften pflegt.