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Bauen mit Glas

Bei Glas in der Architektur steht oft die Transparenz im Vordergrund. Der Baustoff bietet aber noch viele weitere Vorteile.

Text — Thomas Bürgisser

 

Der Traum von lichtdurchfluteten, scheinbar grenzenlosen Innenräumen – dank der Innovationen der letzten Jahre in der Glasherstellung ist er heute Wirklichkeit. Anders als bei Bürohochbauten ist man mit vollflächig verglasten Fassaden im Wohnbereich zwar noch zurückhaltend, unter anderem aufgrund der vergleichsweise hohen Kosten. Raumhohe Fenster und Glastüren aber, dank denen der Innen- und Aussenbereich optisch miteinander verschmelzen, gehören auch beim Einfamilienhaus fast schon zum Standard. Selbst im Umbau sind sie kein Ding der Unmöglichkeit mehr, und sei es nur in Form eines Wintergartens. Sogar das Dach dient in der modernen Architektur immer öfter der Horizonterweiterung, mit begehbarem Oberlicht auf dem Flachdach, einer erhellenden Firstverglasung oder dem Panorama-Fenster

WISSEN

GLAS: EIN NATÜRLICHER BAUSTOFF

Zwar gibt es auch natürlich entstandenes Glas, zum Beispiel durch Blitzeinschläge auf Quarzsand. Als Baustoff kann dieses jedoch kaum eingesetzt werden – und ist auch sehr selten. Der natürliche Rohstoff Quarzsand kommt aber bei der industriellen Glasproduktion häufig zum Einsatz, etwa zusammen mit Soda, Kalk und recycelten Glasscherben. Das Gemisch, dessen Rezeptur sich von Produkt zu Produkt unterscheidet, wird dann vereinfacht gesagt auf rund 1400 Grad erhitzt und nach dem Schmelzen wieder abgekühlt.

Im Metallbad entsteht dabei flaches, dünnes Glas, das Floatglas. Unter anderem über besonders schnelles Abkühlen der Aussenfläche entsteht ausserdem Einscheiben-Sicherheitsglas mit erhöhter Widerstandsfähigkeit. Werden zwei Einzelscheiben mit einer Folie verbunden, gibt es das noch sicherere Verbund-Sicherheitsglas. Und nicht zuletzt gibt es auch Glas aus Kunststoff, wie etwa Acrylglas. Oder buntes Glas, das zum Beispiel durch die Beigabe von Metalloxiden in der Herstellung entsteht.

Foto: Beat Bühler / 4B AG


HYGIENISCH, WIDERSTANDSFÄHIG, NACHHALTIG

Die Lichtdurchlässigkeit ist aber nur einer von vielen Gründen für den Einsatz von Glas in der Architektur. Der Baustoff gilt zum Beispiel auch als besonders hygienisch und pflegeleicht. Zugegeben, Fensterputzen kann mühsam sein. Die glatten Oberflächen – erst recht entsprechend beschichtet – lassen sich im Vergleich zu anderen Flächen jedoch noch immer schnell von Schmutz befreien. Die Witterung kann widerstandsfähigem, korrosionsbeständigem Glas ebenfalls praktisch nichts anhaben. Und selbst dem Nachhaltigkeitstrend hält der zu 100 Prozent rezyklierbare Baustoff stand.

 

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Foto: Haas Glas Design AG
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Wände und Türen aus Glas sorgen sowohl nach aussen, wie auch im Innenausbau für fliessende Übergänge.

Dank technologischer Fortschritte erfüllt Glas inzwischen sogar zahlreiche Zusatzfunktionen. Schallschutz etwa ist kaum mehr ein Problem. Und bezüglich des Wärmeverlustes wird Glas zwar nie mit einer maximal gedämmten Wand mithalten können, muss sich aber in dreifachverglaster Ausführung auch nicht verstecken. Erst recht, wenn man die gewonnene Wärme durch Sonneneinstrahlung dazurechnet. Neuste Innovationen lassen Glas sogar noch zusätzlich zum Energielieferanten werden. Bereits gibt es Fenster, die Strom produzieren oder in deren Scheibenzwischenraum eine Flüssigkeit zirkuliert, die zum Heizen und Kühlen dient.

 

CHECKLISTE

WO LICHT IST, MUSS AUCH SCHATTEN SEIN

Die immer milderen Winter und wärmeren Sommer rücken in der Architektur vermehrt den Hitzeschutz ins Zentrum. Hierbei fällt auch Glas eine zentrale Rolle zu: Denn grosse Fensterflächen mögen zwar im Winter hilfreich sein, lassen aber auch im Sommer Wärme ins Haus. Deshalb gilt:

  • Die raumhohe Fensterfront eher gegen Norden als gegen Süden ausrichten.
  • Eine Beschattung muss aussen am Glas angebracht sein.
  • Trotz Beschattung sollte noch Tageslicht ins Haus dringen.
  • Idealerweise ist die Beschattung automatisiert, gleich wie das Öffnen und Schliessen der Fenster. Denn das richtige Timing ist entscheidend.
  • Der Sonnenschutz lässt sich auch direkt ins Glas integrieren. Elektrochromes Glas lässt sich dabei auf Knopfdruck abdunkeln, thermochromes Glas verdunkelt sich automatisch, wenn die Sonne draufscheint und die Oberfläche heiss wird. Das sind aber noch vergleichsweise teure Lösungen.


TRANSPARENZ AUCH IM INNENAUSBAU

Nicht zuletzt trumpft Glas aber schlicht auch als Gestaltungselement auf, wird es doch aus unterschiedlichsten Materialien gefertigt, und somit in verschiedensten Formen und Farben. Geschwungenes Glas für schützende aber transparente Balkonbrüstungen etwa. Oder farbige Glaselemente als optische Hingucker, in der Fassade wie im Innenausbau. Als Küchenrückwand – farbig oder mittels Sandstrahlen gemustert – spielt Glas seine hygienischen Fähigkeiten aus und sorgt für einen modernen Look, während Regalböden, Flaschen- oder Brennholzhalter aus dem transparenten Baustoff sich als cleane Designobjekte elegant zurücknehmen. Glasbausteine in Zwischenwänden lassen Licht in einen ansonsten fensterlosen Raum und brechen die Architektur auf. Gleiches gilt für schmuckvolle Glasornamente in Haustüren. Und natürlich vollflächig verglaste Trennwände und Schiebetüren. Sie unterteilen einen Raum, lassen ihn aber nicht an Grösse verlieren. Besonders oft wird sich das im Badezimmer zunutze gemacht. Bei Duschtrennwänden oder -türen, die in Glasausführung für fliessende Übergänge sorgen. Und die dank innovativen Technologien erst noch besonders widerstandsfähig und pflegeleicht sind. Die alten Römer wären begeistert gewesen in ihren Thermen.

DER EXPERTE

Tobias Jakob
Beratungsstelle für Unfallverhütung

VORSICHT VOR UNFÄLLEN MIT GLASELEMENTEN


HAUSmagazin: Tobias Jakob, kommt es häufig zu Unfällen mit Glaselementen im Haus?TOBIAS JAKOB: Genaue Daten liegen dazu keine vor. Wir schätzen aber, dass sich pro Jahr rund 590 Unfälle im Zusammenhang mit Glas am Bau ereignen. Vor allem in älteren Häusern, in denen etwa bei Glastüren noch einfaches Floatglas verwendet wurde, kann es dabei aufgrund von Scherben zu schweren Schnittverletzungen kommen. Seit einigen Jahren ist der Standard zum Glück besser und bis zu einem Meter Höhe sollte nur noch Sicherheitsglas zum Einsatz kommen. Welches Glas wo geeignet ist, zeigt unsere Fachdokumentation «Glas in der Architektur» gut auf.

Empfehlen Sie, Altbauten diesbezüglich nachzurüsten?
Das ist immer ein Abwägen, ob zum Beispiel Kinder im Haus leben oder wo das Glaselement ist. An stark frequentierten Stellen sollte aber unbedingt nachgerüstet werden. Bereits eine unsichtbare Schutzfolie auf dem Glas, welche die Scherben zusammenhalten würde, bringt viel und ist nicht so teuer. Bei raumhohen Verglasungen in Durchgängen lohnt es sich ausserdem, auf Augenhöhe ein Decor anzubringen, damit das Glas erkennbar wird.

Kann ich ansonsten bei Unfällen haftbar gemacht werden?
Grundsätzlich gilt immer die Werkeigentümerhaftung. Gleichzeitig besteht bezüglich Normen keine Pflicht zum Nachrüsten. Ausser, wenn die Gefahr sehr offensichtlich ist. Den konkreten Fall müsste man aber individuell anschauen. Zumindest im Neubau sind sowohl Eigentümer wie auch Planer dazu verpflichtet, nach aktuellem Stand der Technik zu bauen, also eben Sicherheitsglas bis zu einem Meter Höhe.