Wie funktioniert ein autarkes Haus?
Die Krise lehrt uns: Wir müssen wieder unabhängiger werden – als Land wie auch privat. So wächst auch der Wunsch nach einem Haus ohne Stromanschluss.
Text — Raphael Hegglin
Eines der weltweit ersten energieautarken Gebäude steht in Brütten im Kanton Zürich. Das 2016 in Betrieb genommene Mehrfamilienhaus beinhaltet 9 Wohnungen, für die es den Strom und die Wärme zum Heizen sowie fürs Warmwasser selbst erzeugt und speichert. Die Erbauer des Mehrfamilienhauses waren sich ihrer Sache so sicher, dass sie auf einen Anschluss ans Stromnetz verzichtet haben. Das Haus ist daher seit rund 5 Jahren punkto Energie auf sich selbst gestellt.
Wie die Energiebilanz zeigt, bewährt sich das Mehrfamilienhaus: Auch in seinem ersten Winter – mit dem kältesten Januar seit 30 Jahren und dem sonnenärmsten seit 20 Jahren – produzierte das Haus immer genug Strom und Wärme.
DAS HAUS ALS KRAFTWERK
Wie funktioniert das autarke Haus in Brütten genau? Wichtigste Energieform ist Solarstrom: Die Fassade des Hauses besteht aus kostengünstigen, nicht spiegelnden Dünnschichtzellen. Da das Haus auch an den weniger gut bestrahlten Stellen mit diesen Solarzellen verkleidet ist, wurde hier nicht auf einen maximalen Wirkungsgrad geachtet, sondern auf ein optimales Kosten-Nutzen-Verhältnis. Das Dach hingegen bilden leistungsfähigere, kristalline Photovoltaikzellen.
Fassade und Dach aus Solarzellen machen das Haus zum Kraftwerk. An schönen Tagen reicht bereits eine Stunde Sonne, um
STROMSPEICHER IN ZWEI SYSTEMEN
Der Solarstrom fällt auch in Brütten über das Jahr verteilt unterschiedlich aus. Damit den Bewohnerinnen
und Bewohnern selbst an nebligen Tagen nicht die Heizung aussteigt oder das Licht ausgeht, wird der an sonnigen Tagen überschüssig anfallende Strom in zwei Systemen gespeichert.
Der Batteriespeicher überbrückt Energielücken von bis zu vier Tagen. Um länger andauernde Defizite ausgleichen zu können, reichen Akkus nicht. Daher bedient man sich in Brütten der Power-to-Gas-Methode: Mit dem in den Sommermonaten reichlich anfallende Solarstrom wird Wasser elektrolysiert. Dabei fallen Sauerstoff und Wasserstoff an. Letzter ist ein idealer Energieträger, der sich langfristig in Tanks speichern lässt. Bei Bedarf kann man aus ihm mittels Brennstoffzellen wieder Strom herstellen. Im energieautarken Haus in Brütten sind es bis zu 4000 kWh Strom pro Tankfüllung Wasserstoff. Insgesamt kann das energieautarke Haus Strom für 30 Tage speichern.
INFO
IST AUTARKIE ÜBERHAUPT SINNVOLL?
Völlig autark wird ein Gebäude nie sein – selbst wenn es auch noch Regenwasser gewinnt und ein Wasseranschluss überflüssig wird. Denn Teile gehen kaputt und müssen repariert werden, irgendwann ist eine Sanierung notwendig. All das erfordert ein hohes Mass an fremder Hilfe und an grauer Energie. Andere Zukunftsvisionen basieren daher auf vernetzten Häusern. Sie funktionieren ebenfalls als Kraftwerke, liefern ihren Strom aber ins Netz. Auf eigene Stromspeicher kann so verzichtet werden. Unter dem Strich verbrauchen solche Gebäude weniger graue Energie und Ressourcen als autarke.
UMFASSENDE ENERGIEEFFIZIENZ
Wenn die Brennstoffzellen aus Wasserstoff Strom erzeugen, fällt als Nebenprodukt Wärme an. Diese nutzt man für die Warmwasseraufbereitung und für die Heizung. Dadurch steigt der Gesamtwirkungsgrad der Brennstoffzellen auf über 90 Prozent.
Der grössten Teil der Wärme kommt in Brütten allerdings aus einer Wärmepumpe mit Erdsonde. Betrieben wird auch sie durch den Solarstrom und bei Bedarf mittels Strom aus der Brennstoffzelle. Fällt – aufgrund von Sonneneinstrahlung – zu viel Wärme an, dann wird diese nicht verschwendet: Thermische Kurz- und Langzeitspeicher nehmen sie auf, um sie bei Bedarf an die Wärmepumpe abzugeben.
Damit das Haus in Brütten funktioniert, muss es nicht nur seine Energie selbst produzieren, sondern sie auch möglichst sparsam nutzen. Energieeffizienz steht daher an oberster Stelle: Neben einer starken Wärmedämmung verfügt das Haus über eine kontrollierte Lüftung, welche Wärme aus der Abluft zurückgewinnt. Dieses Prinzip ist bereits durch Minergie bekannt. Ausserdem haben sich die Bewohnerinnen und Bewohner dazu verpflichtet, immer auf die energieeffizientesten Geräte zu setzen.
ES GEHT AUCH MIT WENIG TECHNOLOGIE
Im energieautarken Haus in Brütten steckt eine Menge Technik. Wie und ob sie sich in den kommenden Jahrzehnten bewährt, wird sich zeigen. Doch sicher ist: Ohne Ingenieurwissen lässt sich ein solches Haus nicht betreiben. Einen komplett anderen Weg gehen daher vermehrt Holzbaufirmen. Pionier unter ihnen ist der österreichische Unternehmer und Forstwirt Erwin Thoma. Seine Holzhäuser kommen ohne Heizung aus. Die Idee dahinter: Der solare Wärmeeintrag durch die Fenster kann zum Heizen ausreichen. Dazu speichert der massive und speziell konstruierte Holzbau an sonnigen Tagen Wärme, sodass selbst an trüben Tagen und nachts warme Temperaturen vorherrschen.
NATURNAHES LEBEN VORAUSGESETZT
Grundvoraussetzung solcher Häuser ist eine Lage mit ausreichend Sonneneinstrahlung sowie ein flächenmässig hoher Anteil an Fensterglas. In Kombination mit einer Photovoltaikanlage – die Strom für Licht, Elektrogeräte und Warmwasser liefert – werden auch sie energieautark. Bei solchen Holzhäusern setzt man weniger auf Hightech, sondern vielmehr auf natürliche Materialien und eine einfache Konstruktionsweise. Das Leben in einem solchen Haus erfordert allerdings mehr Bereitschaft, Temperaturschwankungen in Kauf zu nehmen und naturnah zu leben.