Der Weg unseres Trinkwassers
Eine gut funktionierende Trinkwasserversorgung ist für jede Zivilisation überlebenswichtig. In den kommenden Jahrzehnten werden wir uns stärker um sie kümmern müssen.
Text — Raphael Hegglin
Die Geschichte der Dörfer und Städte ist die Geschichte der Wasserversorgung. So konnten die Siedlungsgebiete der Antike erst entstehen, als man leistungsfähige Wasserleitungen bauen konnte. Erste Überlieferungen stammen aus der Stadt Ninive, die im heutigen Irak liegt. Dort erbauten die Assyrer bereits im 7. Jahrhundert vor Christus eine funktionierende Wasserversorgung. Sie bestand aus 18 Kanälen, die Wasser aus den umliegenden Bergen in die Stadt leiteten.
Später entwickelten die Römer die Wasserversorgung weiter und bauten feinteilige Netze, bestehend aus Ton-, Blei-, und Holzrohren. Von da an liessen sich auch einzelne Häuser mit einem eigenen Wasseranschluss versehen.
RÜCKSCHRITTE IM MITTELALTER
Im Mittelalter jedoch zerfielen diese Systeme aus Aquädukten, Kanälen und Rohrleitungen – das Wissen um die Wasserversorgung ging verloren. Als Trinkwasserquelle dienten nun wieder Brunnen, von denen man das Wasser in Eimern nach Hause trug. Das Wasser war oft verschmutzt und nicht in ausreichender Menge verfügbar. Krankheiten wie Cholera waren daher nicht selten und rafften regelmässig einen Teil der Bevölkerung dahin.
Die Industrialisierung brachte dann erneut die Wende. Wasserleitungen liessen sich plötzlich maschinell, in grossen Mengen herstellen. Man begann, Quellen und Grundwasservorkommen anzuzapfen und Städte wie auch Dörfer mit frischem Trinkwasser zu versorgen.
INFO
WIE SAUBER IST UNSER TRINKWASSER?
Trinkwasser ist unser wichtigstes Lebensmittel. Die gesetzlichen Vorgaben sind daher streng – reichen jedoch allein nicht aus.
Die Gesetzeslage ist klar: Trinkwasser darf nichts enthalten, was die Gesundheit gefährden könnte. Es wird daher in der gesamten Schweiz regelmässig auf Schadstoffe, Parasiten und Mikroorganismen untersucht. Ebenfalls muss Trinkwasser unauffällig sein, was seinen Geruch, den Geschmack und sein Aussehen betrifft. Trotzdem kommen auch in unserem Trinkwasser Schadstoffe vor – genauso wie in allen Lebensmitteln und in der Luft. Vermeiden lässt sich dies nicht, ist in unserer Umwelt doch alles miteinander vernetzt.
In Panik geraten sollten wir trotzdem nicht: Die moderne Analytik ermöglicht es, Substanzen schon in unvorstellbar kleinen Konzentrationen zu detektieren. So ist es heute möglich, einen Zuckerwürfel in einem Stausee aufzulösen und diesen anschliessend nachzuweisen. Es reichen also schon wenige Moleküle, und ein Test fällt positiv aus.
- DIE DOSIS MACHT DAS GIFT: Das Vorhandensein eines Schadstoffes heisst nicht, dass eine Gefahr für die Gesundheit besteht. Wie schon der berühmte Schweizer Arzt und Naturforscher Paracelsus vor etwa 500 Jahren sagte: «Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis machts, dass ein Ding kein Gift sei.» Ob etwas gesundheitsschädlich ist oder nicht, hängt also von der Konzentration ab. Daher definiert das Gesetz Höchstwerte für Schadstoffe wie Nitrat oder Kohlenwasserstoffe in Trinkwasser. Werden diese überschritten, darf das betroffene Wasser nicht mehr in die Trinkwasserversorgung eingespeist werden.
- HAUSBESITZER IN DER PFLICHT: In der Schweiz gelangt nur sauberes Trinkwasser zu den Häusern. Dies garantieren Gesetze und regelmässige Kontrollen. Danach – genauer gesagt ab dem Wasserzähler – sind Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer selbst dafür verantwortlich, dass ihr Wasser sauber bleibt. Dies ist nur möglich, wenn Wasser nicht zu lange in den Leitungen steht. Denn Stillstand bewirkt, dass sich Keime vermehren können. Trinkwasser muss also regelmässig durch alle Wasserleitungen fliessen. Im Alltag ist dies der Fall. Nach längerer Abwesenheit wie etwa den Ferien sollte man das Leitungswasser jedoch besser einige Minuten fliessen lassen, ehe man es nutzt. Ein zusätzliches Problem sind Totleitungen: Sie entstehen zum Beispiel, wenn ein Wasseranschluss stillgelegt wird und man dazu nur den Anschluss verschliesst. Es entsteht dann eine «Sackgasse» im Leitungssystem, in welcher das Wasser stehen bleibt. So kann es zu einem Keimbefall kommen. Es ist daher wichtig, dass immer das gesamte Leitungsrohr, vom stillgelegten Wasseranschluss bis zum Verteiler, entfernt wird.
- REGELMÄSSIGE KONTROLLE DER SANITÄRINSTALLATIONEN: Die Wasserleitungen in einem Haus und alle daran angeschlossenen Anlagen, wie zum Beispiel Enthärtungsanlagen, sollte man regelmässig durch eine Fachperson kontrollieren lassen. So ist garantiert, dass stets einwandfreies Wasser aus den Leitungen fliesst. Besondere Vorsicht ist zudem beim Warmwasser geboten. Denn Legionellen – Bakterien, welche die gefährliche Legionärskrankheit auslösen – vermehren sich in stillstehendem Wasser mit Temperaturen zwischen 25 und 55° C. Wasserboiler sollten daher auf mindestens 60° C gehalten werden oder mit einer Legionellenschaltung versehen sein. Diese erhöht die Wassertemperatur im Boiler mindestens einmal pro Woche auf über 60° C und tötet die Keime frühzeitig ab.
160 LITER VERBRAUCH PRO KOPF
Heute ist fliessendes Wasser in jedem Haus selbstverständlich. Eine Person in der Schweiz verbraucht im eigenen Haushalt täglich etwa 160 Liter Trinkwasser. Über die Hälfte davon entfällt auf Duschen, Baden und Toilette spülen – dient also nicht als Lebensmittel. Unser Trinkwassernetz besteht aus insgesamt 93'000 Kilometern Rohrleitungen (Stand 2020). Das ist mehr als zweimal um die Erde! Dabei fallen über 60 Kilometer auf Versorgungsleitungen und über 32 Kilometer sind Trinkwasserleitungen in Gebäuden.
In der Schweiz gibt es rund 2500 Wasserversorger. Zusammen fördern sie jährlich etwa 1 Milliarde Kubikmeter Trinkwasser – das entspricht in etwa der Menge des Bielersees. Dieses Trinkwasser stammt zu 36 % aus Quellen, zu 43 % aus Grundwasservorkommen und zu 21% aus Seen und Flüssen.
HAHNENBURGER VERSUS MINERAL
Die Schweizer Wasserversorgung verbraucht pro Jahr etwa 0.4 TWh Strom, pro Kopf kommt man so auf etwa 50 kWh/Jahr. Hinzu kommt die graue Energie für den Bau und den Unterhalt der Wasserfassungen, Reservoirs und Leitungssysteme.
Im Vergleich zu Mineralwasser aus der Flasche ist der Energieaufwand für unser Trinkwasser marginal: Das Bundesamt für Umwelt und der Verein des Gas- und Wasserfaches haben dazu eine Studie durchgeführt. Sie kommt zum Schluss, dass Mineralwasser die Umwelt bis zu 1000-mal mehr belastet als Hahnenwasser. Rechnet man das Material, die Produktion, den Transport und das Kühlen der Flaschen zusammen, braucht ein Liter Mineralwasser die Energie von mehr als drei Dezilitern Erdöl, so das Fazit der Studie.
INFO
WASSERSCHLOSS IN GEFAHR
Der Klimawandel sowie Schadstoffe könnten dazu führen, dass sauberes Wasser hierzulande knapp wird. Langsam reagiert auch die Politik.
Viel Wasser bedeutet nicht automatisch ausreichend sauberes Wasser. Wasserverschmutzung ist ein Szenario, mit dem sich Bund und Kantone zunehmend auseinandersetzen müssen. Dabei droht Gefahr von verschiedener Seite: Zum einen dürften durch den Klimawandel Naturereignisse wie Starkregen und Überschwemmungen zunehmen. Dadurch können Bakterien wie auch Schadstoffe in die Seen, Flüsse und ins Grundwasser geschwemmt werden. Im schlimmsten Fall bleiben Trinkwasservorkommen danach für lange Zeit verseucht oder vergiftet.
Schutz vor Überschwemmungen ist daher wichtig für den Schutz unseres Trinkwassers. Wirksame Massnahmen sind unter anderem die Renaturierung kanalisierter Fliessgewässer sowie das Öffnen versiegelter Flächen. So entstehen Pufferzonen, die plötzlich auftretende Wassermassen aufnehmen und speichern können.
- ZUNEHMEND SCHADSTOFFE IM TRINKWASSER: Nicht mehr wegdiskutieren lässt sich die Gefahr durch Schadstoffe, die zunehmend ins Trinkwasser gelangen. Insbesondere Pestizide und Substanzen aus Medikamenten lösen Besorgnis aus. Denn immer öfter findet man Spuren davon im Trinkwasser, einige der gefundenen Substanzen sind krebserregend oder wirken wie Hormone und bringen so den Stoffwechseln durcheinander. Laut dem Wasserforschungsinstitut EAWAG ist Hahnenwasser jedoch nach wie vor in der gesamten Schweiz bedenkenlos trinkbar. «Da in der Schweiz im Gesetz die Höchstwerte für organische Pestizide und ihre Metaboliten im Trinkwasser vorsorglich sehr tief angesetzt sind, gelten die festgestellten Überschreitungen von Höchstwerten im Trinkwasser nach heutigem Wissensstand als unbedenklich für den Menschen.»
- MEHR TRINKWASSERSCHUTZ ERFORDERLICH: Regionale Verbesserungen – insbesondere in Gebieten mit intensiver landwirtschaftlicher Nutzung – werden trotz der (noch) guten Analyseergebnisse immer wichtiger. Denn die Konzentration an Schadstoffen steigt kontinuierlich, und grosse Mengen der versprühten Pestizide haben die Grundwasserschichten noch gar nicht erreicht. Fachpersonen sind sich daher einig, dass es in der Schweiz mehr Grundwasserschutzzonen braucht. In solchen dürfen zum Beispiel keine Pestizide und keine Düngemittel mehr ausgebracht werden, ebenfalls sind menschliche Aktivitäten nur eingeschränkt erlaubt. Denn unser Grund- und Quellwasser kann nur so sauber sein wie der Boden, durch den es zuerst fliesst.
FÜNF TAGE UNTERWEGS
Wie gelangt unser Wasser in die Häuser? Während Quellwasser von allein an die Oberfläche strömt, muss man Grund-, See und Flusswasser mittels Pumpen fördern. Etwa ein Drittel des gewonnenen Trinkwassers braucht keine Behandlung, zwei Drittel werden zuerst aufbereitet. Dazu durchläuft es mehrere Filterstufen, bis selbst kleinste Partikel entfernt sind. Eventuell wird das Wasser dann noch mittels UV-Strahlung oder Ozon desinfiziert.
Nach dem Fördern und eventuellen Aufbereiten speichert man das Trinkwasser in Reservoirs. Dass diese üblicherweise auf einer Anhöhe – über der Ortschaft – liegen, hat einen Grund: Nur so lässt sich ein konstanter Wasserdruck erzeugen. Würde man das Wasser hingegen direkt in die Leitungen pumpen, käme es zu erheblichen Druckschwankungen. Vom Reservoir gelangt das Wasser schliesslich über das Verteilnetz in die Haushalte. In der Schweiz ist ein Wassertropfen bis zu fünf Tage unterwegs, um von der Wasserfassung zum Wasserhahn zu gelangen.
Hier finden Sie die nützliche Checkliste «Wasser sparen»