Die Schattenseite der Energiewende
Durch grüne Technologien wie Photovoltaik und Brennstoffzellen vervielfacht sich der Bedarf an einzelnen Rohstoffen. Das hat negative Folgen für die Umwelt und die Bevölkerung in den Abbaugebieten.
Text — Raphael Hegglin
Menschenrechtsorganisationen und lokale Umweltorganisationen sprechen von «grünem Kolonialismus». Damit gemeint ist die Art und Weise, wie Industriestaaten ihren Hunger nach Rohstoffen stillen. Dieser wächst mit der Energiewende immer mehr. Der Vorwurf lautet: Die Energiewende der westlichen Staaten geht zulasten der Umwelt und der Bevölkerung des globalen Südens.
Schon heute spricht man von «kritischen Rohrstoffen» wie Lithium, Kobalt oder Platin, die künftig Mangelware sein könnten. Doch ohne sie kann es keine Energiewende geben: Lithium und Kobalt sind unverzichtbare Bestandteile von Akkus und Batteriespeichern, Platin ist heute Grundvoraussetzung für den Bau von Brennstoffzellen und die Power-to Gas-Technologie.
ES BRAUCHT IMMER MEHR LITHIUM
Für einen 300 kg schweren Elektroauto-Akku mit 50 kWh Ladekapazität braucht es etwa 8 kg Lithium. Mittlerweile gelangen immer mehr Lithium-Ionen-Akkus zum Einsatz: in Elektrofahrzeugen, als Batteriespeicher, in Computern und Smartphones, in Werkzeugen und in Steuersystemen. Heute muss daher viermal mehr Lithium gefördert werden als noch vor zehn Jahren. Geht der Trend so weiter, wird der Bedarf an Lithium weiterhin stark steigen.
Die wichtigsten Abbaugebiete für Lithium liegen heute in Australien, Chile und China. Die weltweit grössten Lithiumvorkommen liegen allerdings in den unterirdischen Salzseen von Bolivien, Argentinien und Chile: Auf 42 Millionen Tonnen Lithium werden sie geschätzt. Zahlreiche Konzerne möchten daher in diesen Gebieten Lithium fördern.
INFO
RECYCLING: LOHNENDE PFLICHT
Die Deponien von gestern sind die Minen von morgen. So jedenfalls sehen es viele Recycling-Fachleute. Denn bis in die 1970-Jahre wanderte in der Schweiz fast aller Abfall auf der Mülldeponie – alte Kleider, Glasflaschen, Elektrogeräte, Batterien und vieles mehr. Dort liegen also tonnenweise Metalle, Kunststoffe, Phosphate und andere Rohstoffe. Das Recycling von Mülldeponien könnte sich daher künftig lohnen.
Heute gelangen deutlich weniger wertvolle Rohstoffe in den Abfall. Die Schweiz bezeichnet sich sogar oft als «Weltmeisterin im Recycling». Immerhin werden hierzulande über die Hälfte aller Siedlungsabfälle wiederverwertet. Weltmeisterlich ist dies allerdings nicht: Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern rezykliert die Schweiz zum Beispiel wesentlich weniger Plastik, viel zu viel davon wird noch verbrannt. In Zukunft dürfte sich dies ändern: Steigende Rohstoffpreise und strengere Umweltgesetze machen das Recycling von Materialen immer lohnender.
WASSERMANGEL MACHT LAND UNBEWOHNBAR
Um Lithium aus unterirdischen Salzseen zu gewinnen, pumpt man die Sole in grosse Becken, wo das Wasser durch Sonneneinstrahlung verdunstet. Aus der konzentrierten Sole lässt sich Lithiumsalz extrahieren, das anschliessend in Raffinerien gereinigt wird.
Der CO2-Ausstoss dieser Gewinnungsmethode ist vergleichsweise gering. Bei der Herstellung von 8 kg Lithium für einen Elektroauto-Akku werden zwischen 50 und 100 kg CO2 freigesetzt – gleich viel, wie durch das Verbrennen einer Tankfüllung Benzin entsteht. Doch diese Art der Lithiumgewinnung erfordert grosse Mengen an Frischwasser. Und dies in den wüstenartigen Gebieten der Salzseen. In Chile ist es daher bereits zum Wassermangel gekommen, Landwirtschaft ist in den betroffenen Gebieten kaum mehr möglich. Die dort lebende indigene Bevölkerung hat dadurch ihre Lebensgrundlage verloren.
KINDERHÄNDE FÜR KOBALT
Auch der Abbau von Kobalt steht in der Kritik. Mehr noch als jener von Lithium: Über die Hälfte des geförderten Kobalts stammt aus der Demokratischen Republik Kongo. Der Abbau dort erfolgt weitgehend ohne Einhaltung sozialer, arbeitsrechtlicher, gesundheitlicher oder ökologischer Standards. Laut UNICEF arbeiten etwa 40'000 Kinder in den kongolesischen Kobaltminen. Es komme regelmässig zu Unfällen mit Todesopfern und viele der Kinder arbeiten täglich bis zu 12 Stunden – für weniger als 10 Rappen pro Tag.
INFO
AKKUS: WAS GESCHIEHT DAMIT?
Insbesondere die Lithium-Ionen-Akkus von Elektrofahrzeugen stehen in der Kritik. Teilweise zurecht: Es braucht dringend eine Pflicht zum Recycling.
Heute werden weniger als 50 % der in alten Akkus lagernden Rohstoffe zurückgewonnen. Tatsächlich aber könnte man bereits jetzt über 90 % davon zurückgewinnen – allen voran Lithium und Kobalt. So ist es zum Beispiel der Schweizer Firma Kyburz zusammen mit der EMPA gelungen, Lithium-Ionen-Akkus in einer Pilotanlage zu 91 % zu rezyklieren. Mit den zurückgewonnenen Stoffen lassen sich wieder neue Akkus bauen, wodurch weniger Rohstoffe abgebaut werden müssen.
Das Recycling lohnt sich oft nicht, weil Rohstoffe unter fragwürdigend Bedingungen gefördert werden und dadurch zu billig sind. Zudem sind Akkus und Batterien in Geräten und Fahrzeugen oft so verbaut, dass sie sich nur mit hohem Aufwand entfernen und öffnen lassen, was das Recycling unnötig verteuert.
Leider gibt es bis heute keine verbindlichen europäischen Vorschriften für eine Recycling-Pflicht. Das europäische Parlament konnte sich immerhin zu neuen Zielen durchringen: Ab dem Jahr 2030 sollen 70 % der in Akkus verbauten Stoffe zurückgewonnen werden. Zusätzlich müssen Hersteller neuer Batterien ab 2031 6 % des Lithiums und des Nickels sowie 16 % des Kobalts aus recycelten Materialien gewinnen.
ERSATZ FÜR LITHIUM
Ausserdem sieht die Vorschrift vor, dass es ab 2027 in Geräten keine festverklebten Akkus und Batterien mehr geben darf. Dadurch verspricht man sich, dass die Batterien von Einweg-E-Zigaretten und anderen Wegwerfprodukten nicht mehr im Müll landen. Ob sich durch das neue Gesetz auch die Reparierbarkeit von Smartphones & Co verbessert, ist zurzeit nicht klar.
Die neuen EU-Vorschriften verlangen nur einen Bruchteil davon, was technisch möglich und punkto Umweltschutz Pflicht wäre. In der Forschung versucht man daher, unproblematische Alternativen für Rohstoffe wie Lithium und Kobalt zu finden. Grosse Hoffnung liegt derzeit auf Natrium-Ionen-Akkus. Vom Prinzip her funktionieren sie wie Lithium-Ionen-Akkus, nur einfach mit Natrium, das Bestandteil von Kochsalz ist. Zwar lässt sich in einem Natrium-Ionen-Akku weniger Energie speichern. Dafür ist er wesentlich günstiger und umweltfreundlicher als ein Akku mit Lithium. Bereits heute fährt das chinesische Elektroauto Sol E10X mit einem Natrium-Ionen-Akku, seine Reichweite wird mit 300 km angegeben.
REICH WERDEN DIE ANDEREN
Über 70 % des Edelmetalls Platin stammen aus Südafrika. Nichtregierungsorganisationen prangern die schlechten Arbeitsbedingungen sowie die Umweltverschmutzung an: Laut Studie «Edles Metall – unwürdiger Abbau» des Evangelischen Werks für Diakonie und Entwicklung «werden die betroffenen Gemeinden nicht angemessen beteiligt, Pachtverträge mit den Bergbaukonzernen werden häufig von traditionellen, sogenannten Chiefs ausgehandelt, die die Entschädigungen für den Landverlust veruntreuen».
Beim Abbau von Platin entstehen giftige sowie radioaktive Rückstände aus Zink, Uran und Radium. Durch Lecks und unsachgemässen Umgang können sie in die Umwelt gelangen. Ebenfalls stossen die Minen Staub und Schwefeldioxid aus und verschmutzen die Luft. Problematisch ist zudem der hohe Energiebedarf der Minen. Er wird durch Verbrennen von Braunkohle gedeckt, wodurch sich die Klimabilanz von Platin verschlechtert.
ES BRAUCHT VERBINDLICHE STANDARDS
Führt uns die Energiewende in ein moralisches Dilemma? Und ist ihr Kollateralschaden am Ende grösser als ihr Nutzen? Zyniker würden sagen, dass der Abbau fossiler Rohstoffe ebenso mit Umweltverschmutzung und Menschenrechtsverletzungen verbunden ist – und es daher keine Rolle spiele. Doch Rohstoffe lassen sich auch ohne gravierende Folgen für die Umwelt und ohne Ausbeutung von Menschen fördern. Die Technik dazu wäre verfügbar, doch Profitgier und Machtpolitik stehen dem im Wege. Wer die Zeitung liest, stellt allerdings fest, dass der Rohstoffabbau und -handel immer mehr zum Politikum wird. Es bleibt daher zu hoffen, dass künftig internationale Standards und transparente Lieferketten die Rohstoffproblematik entschärfen werden – sodass die Energiewende nicht nur für Europa, sondern für die gesamte Welt nachhaltig wird.