Fahrplan zur CO2-Neutralität
Das revidierte CO2-Gesetz soll den Treibhauseffekt bremsen. Doch was genau bewirkt das Gesetz und welche Ziele verfolgt die Klimapolitik?
Text — Raphael Hegglin
Die Schweiz hat sich im Rahmen des Pariser Klimaübereinkommens verpflichtet, bis 2030 ihren Treibhausgas-Ausstoss zu halbieren – bezogen auf jenen des Jahres 1990. Und: Aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse des Weltklimarates hat der Bundesrat zusätzlich entschieden, diese Vorgaben zu verschärfen. Ab dem Jahr 2050 soll die Schweiz unter dem Strich keine Treibhausgase mehr ausstossen. Werden diese Ziele auch international erreicht, dann lässt sich die Klimaerwärmung auf maximal 1,5° C begrenzen.
Dass der Klimawandel die gesamte Menschheit bedroht, ist mehrheitlich unbestritten. Doch über die Massnahmen lässt sich trefflich streiten. Denn auch wenn die Hoffnung bekanntlich grün ist, scheint das Ziel nicht gänzlich ohne Verzicht und teilweise radikales Umdenken erreichbar zu sein.
MEHRGLEISIG ANS ZIEL
Das revidierte CO2-Gesetz – über das am 13. Juni abgestimmt wird – ist der erste Schritt zu einer klimaneutralen Schweiz. Die darin definierten Massnahmen sollen die Treibhausgas-Emissionen um 50 % reduzieren. Drei Viertel dieser CO2-Einsparungen müssen im Inland erfolgen, der verbleibende Viertel darf mittels Projekten im Ausland zustande kommen. Die Massnahmen sind eine Kombination aus finanziellen Anreizen, Abgaben auf fossile Brennstoffe und der Förderung umweltfreundlicher Technologien – und zwar folgende:
WISSEN
DAS BEDEUTET DAS CO2-GESETZ FÜR HAUSBESITZER
Welche Konsequenzen das revidierte CO2-Gesetz für Hausbesitzerinnen und -besitzer hat, wird kontrovers diskutiert – denn der Zustand der Schweizer Einfamilienhäuser variiert stark. Das Bundesamt für Umwelt beziffert in einer Beispielrechnung die jährlichen Mehrkosten für eine Durchschnittsfamilie mit 97 Franken, nach Abzug der Rückvergütungen. Annahme: Die Familie bewohnt ein Haus mit 128 Quadratmetern Wohnfläche und einem Heizölverbrauch von 8 Litern pro Quadratmeter (total 1024 Liter pro Jahr). Dazu fährt sie mit dem Auto (Verbrauch 6,08 Liter/ 100 Kilometer) jährlich 12'500 Kilometer und fliegt einmal pro Jahr innerhalb Europas in die Ferien (siehe Beispielrechnung unten).
Nur: Häuser, die vor 2008 gebaut wurden, verbrauchen bis zu 25 Liter Heizöl pro Quadratmeter und Jahr. Würde das Haus aus obigem Beispiel 15 Liter Heizöl pro Quadratmeter und Jahr verbrauchen (rund 2000 Liter/Jahr), dann sieht die Rechnung anders aus. Die Mehrkosten für das Heizöl betragen dann jährlich 600 Franken (in der Beispielrechnung des BAFU sind es 53 Franken).
Das grösste Problem stellt sich bei einem solchen Haus allerdings erst bei einem Heizungsersatz. Gemäss revidiertem CO2-Gesetz darf man nur noch dann eine neue fossile Heizung einbauen, wenn der jährliche Verbrauch unter 7,5 l Heizöl/m2 liegt. Der Umstieg auf eine Wärmepumpe ist wiederum bei schlecht gedämmten Häusern aufgrund der erforderlichen hohen Vorlauftemperaturen nicht ideal oder gar nicht möglich. Als einzige Alternative käme eine Holz- bzw. Pelletsheizung in Frage – diese arbeiten problemlos mit hohen Vorlauftemperaturen. Bei den steigenden Energiepreisen dürfte aber ein hoher Heizwärmeverbrauch selbst für Umweltmuffel kein zukunftsträchtiger Weg sein.
Sollte das revidierte CO2-Gesetz am 13. Juni angenommen werden, ist definitiv der Zeitpunkt gekommen, die energetische Sanierung eines schlecht gedämmten Altbaus zu planen. Auf keinen Fall sollte man warten, bis ein Heizungsersatz unabwendbar ist. Besser ist
es, sich frühzeitig an eine Fachperson zu wenden, um eine Sanierungs-Strategie zu entwickeln. Denn meist lässt sich mittels Standardlösungen der MuKEn 2014 eine technisch wie auch finanziell tragbare – etappierte – Lösung finden.
LENKUNGSABGABE AUF HEIZÖL UND GAS
Heute dürfen die Lenkungsabgaben für fossile Brennstoffe wie Heizöl und Gas maximal 120 Franken pro Tonne CO2 betragen. Mit dem revidierten CO2-Gesetz wird der maximale Tarif auf 210 Franken pro Tonne CO2 angehoben. Aktuell ist die Abgabe auf 96 Franken pro Tonnen CO2 festgesetzt, was 25 Rappen pro Liter Heizöl bedeuten. Mit dem neuen, maximalen Tarif würde die Abgabe auf rund 55 Rappen pro Liter steigen, was Heizöl gegenüber heute um maximal 30 Rappen pro Liter verteuert. Da beim Verbrennen von Erdgas weniger CO2 entsteht als bei Heizöl, sind die Abgaben dort tiefer. Und: Werden Gasheizungen mit Biogas betrieben, so sind sie CO2-neutral. Zwei Drittel der daraus resultierenden Einnahmen verteilt der Bund an die Bevölkerung und die Wirtschaft zurück. Dabei erhält jede Person denselben Betrag mittels Reduktion der Krankenkassenprämie. Auch wer mit Heizöl oder Gas heizt, bekommt diesen Betrag rückvergütet. Der verbleibende Drittel fliesst in den Klimafonds (siehe weiter unten). Neu werden zudem alle Betriebe, die sich zu Zielvereinbarungen punkto CO2-Ausstoss verpflichten, von der CO2-Abgabe auf Brennstoffe befreit.
CO2-NEUTRALE NEUBAUTEN
Neubauten dürfen ab 2023 kein CO2 aus fossilen Brennstoffen mehr ausstossen. Öl- und Gasheizungen darf man ab dann also nicht mehr in Neubauten einbauen – was allerdings bereits heute kaum mehr der Fall ist. In bestehenden Bauten bleiben Öl- und Gasheizungen vorläufig erlaubt. Allerdings: Sie dürfen nur noch dann eingebaut werden, wenn das Haus gut isoliert ist; der Grenzwert liegt anfänglich bei 20 kg CO2 pro Quadratmeter Wohnfläche und reduziert sich in Fünfjahresschritten um jeweils 5 kg. 20 kg CO2 entsprechen etwa 7,5 l Heizöl. Ein Einfamilienhaus mit 128 m2 beheizter Fläche dürfte demnach – bei einem Heizungsersatz im Jahr 2023 – noch etwa 1000 l Heizöl pro Jahr verbrauchen, soll wieder eine fossile Heizung eingebaut werden. Danach wird es schrittweise noch weniger.
INFO
BEISPIELRECHNUNG EINER FAMILIE IM EINFAMILIENHAUS
MEHRBELASTUNG | MEHRBELASTUNG NACH BAFU *1) |
MEHRBELASTUNG NACH HAUSMAGAZIN *2) |
---|---|---|
Netto CO2-Abgabe Heizöl (mit Rückverteilung) | 164 Fr. | 280 Fr. |
Kompensationsaufschlag Treibstoff (Auto) | 53 Fr. | 91 Fr. |
Netto Flugticketabgabe (mit Rückverteilung) | - 120 Fr. | 80 Fr. |
Total Kosten pro Jahr (inkl. Rückverteilung) | 97 Fr. | 451 Fr. |
*1) Haus mit 128 m2 Fläche und 8 l/m2 Heizölverbrauch, jährlich 12'500 km mit Auto (Verbrauch 6.08 l/100 km), 1 x pro Jahr Flugreise innerhalb Europa.
*2) Haus mit 140 m2 Fläche und 15 l/m2 Heizölverbrauch bei maximaler Lenkungsabgabe, jährlich 12'500 km mit Auto (Verbrauch 6.08 l/100 km, maximaler Kompensationsaufschlag), 1 x pro Jahr Flugreise ausserhalb Europa (mittlere Strecke).
MEHR FÖRDERBEITRÄGE DURCH KLIMAFONDS
Das Gebäudeprogramm und der Technologiefonds werden mit dem Klimafonds zusammengefasst und ausgebaut. In den neuen Fonds fliessen jährlich etwa eine Milliarde Franken, davon gelangen maximal 450 Millionen ins Gebäudeprogramm, um energetische Sanierungen zu fördern. Der grosse Teil des restlichen Geldes fliesst in den Technologiefonds. Mit diesem fördert der Bund Innovationen, die Treibhausgase oder den Ressourcenverbrauch reduzieren, den Einsatz erneuerbarer Energien begünstigen oder die Energieeffizienz erhöhen.
STRENGERE GRENZWERTE FÜR NEUWAGEN
Die CO2-Zielwerte für Autos sowie Last- und Lieferwagen werden verschärft. Heute gilt für Autos ein Zielwert von 95 Gramm CO2/km, ab 2025 soll er um 15 % reduziert werden und ab 2030 um 37,5 %. Auf Benzin umgerechnet entspräche das am Ende einem Verbrauch von etwa 2,2 l/100 km.
DER EXPERTE
Christian Zeyer,
Dr. chem. ETH, Geschäftsführer swisscleantech
«DIE SCHWEIZ BRAUCHT EIN INNOVATIONSFÖRDERNDES KLIMA»
Die Mehrheit der Wirtschaftsvertreterinnen und -vertreter steht hinter dem revidierten CO2-Gesetz und erkennt Chancen in den grünen Technologien. Mit welchen Produkten und Lösungen kann sich die Schweizer Industrie konkret profilieren?
Schweizer Firmen sind meist erfolgreich in Nischen oder in der Frühphase einer Technologie. Grosses Potenzial liegt in der Maschinenindustrie, der Gebäudetechnik und auch im Fintech-Bereich. Doch die Schweiz braucht dazu ein innovationsförderndes Klima, wie es zum Beispiel das CO2-Gesetz schafft.
Und wo ist die Schweiz punkto Energieeffizienz und Reduktion von Emissionen schon heute führend?
Es gibt zahlreiche vielversprechenden Entwicklungen, die in der Schweiz entstanden sind und das Potenzial haben, weltweit eine Nische
zu erobern. Beispiele sind das Solarfaltdach der dhp technology AG, das elektrische Entsorgungssystem der System-Alpenluft AG oder die Elektrofilter der Clean Air Enterprise AG.
Doch es wird auch Branchen geben, die durch den Weg zur Klimaneutralität in Bedrängnis geraten …
Alle Branchen, die stark auf fossile Brenn- und Treibstoffe angewiesen sind, müssen sich neu erfinden. Aber wir müssen aktiv aus den fossilen Energien aussteigen, das geht nicht von selbst. Wenn eine Firma innovativ unterwegs ist, findet sie Möglichkeiten, ihr Businessmodell neu zu erfinden. Selbst wenn es sich um einen Brennstofflieferanten handelt. Er könnte beispielsweise beschliessen, ins Energie-Contracting*) einzusteigen und statt Brennstoffe beheizte Räume – sprich Raumwärme – anzubieten.
*) Energie-Contracting ist für kleiner Heizungen wie sie in Einfamilienhäusern vorkommen meist nicht empfehlenswert, für grössere Anlagen aber eine interessante Alternative.
AUFSCHLAG AUF BENZIN UND DIESEL
Treibstoff-Importeure werden verpflichtet, die CO2-Emissionen um 90 % monetär zu kompensieren. Die entstehenden Kosten können sie jedoch den Autofahrerinnen und Autofahrern weiter verrechnen. Maximal darf der Aufschlag bis 2024 pro Liter Benzin oder Diesel 10 Rappen betragen, ab 2025 darf er auf 12 Rappen ansteigen. Je nach Marktsituation und Ölpreis werden die Treibstoff-Importeure die Mehrkosten aber nur teilweise auf die Kundschaft abwälzen.
FLUGTICKETABGABE
Mit dem revidierten CO2-Gesetz kommt es zu einer Flugticketabgabe. Für einen Kurzstreckenflug wird sie 30 Franken betragen, für längere Strecken maximal 120 Franken. Etwas mehr als die Hälfte der so eingenommenen Gelder wird an die Bevölkerung und die Wirtschaft zurückverteilt, der Rest fliesst in den Klimafonds. Der Rückerstattungsbetrag soll pro Einwohnerin oder Einwohner 60 Franken betragen und wird von der Krankenkassenprämie abgezogen.