Foto: mike newbry/unsplash.com

Leben mit der Klimaerwärmung

Vollständig lässt sich der weltweite Temperaturanstieg nicht mehr vermeiden. Selbst wenn wir alle Klimaziele erreichen, müssen wir uns daher an neue Lebensbedingungen anpassen – und vieles neu denken.

Text — Raphael Hegglin

 

Olivenbäume und Palmen statt Fichten und Eschen, schon im April laue Abende auf der Terrasse – und jede Menge Sonnenschein: Die Klimaerwärmung macht die Schweiz mediterraner, prophezeit uns die Klimatologie. Nach einem Schreckensszenario klingt das alles nicht. Hat der Temperaturanstieg allenfalls auch seine Vorteile?

Leider kaum: Weltweit betrachtet könnte es zwar tatsächlich einige Regionen geben, die von einer Klimaerwärmung profitieren. Gesamthaft dürften jedoch grosse Teile unseres Lebensraums bedroht sein – auch in der Schweiz. Wie stark, das hängt vom Ausmass der Erwärmung ab. Doch während der Treibhauseffekt durch CO2 und andere Gase wissenschaftlich unbestritten – ja bewiesen ist –, fussen die darauf aufbauenden Klima-Szenarien auf Hochrechnungen und Modellen. Der eigentliche Streitpunkt in der Debatte ist also nicht der Treibhauseffekt, sondern der Schweregrad seiner Auswirkungen. 

 

1,5° C WERDEN WOHL ÜBERSCHRITTEN

Bei aller wissenschaftlichen Unschärfe: Wegdiskutieren lassen sich die Folgen der Klimaerwärmung schon heute nicht mehr. Selbst zurückhaltende Prognosen zeichnen daher ein Bild mit teilweise katastrophalen Folgen – abhängig davon, wieviel CO2 in den nächsten Jahrzehnten noch weltweit ausgestossen wird.

Der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC, siehe Infobox) – auch als Weltklimarat bezeichnet – erstattet dazu regelmässig Bericht. Im Sachstandsbericht von August 2021 schreibt er: «Neuste Daten zeigen, dass sich das globale Klima bis 2030 um 1,5° C erwärmen wird.» Bisher ist man davon ausgegangen, dass dies erst in 20 Jahren der Fall sein wird. Um das im Pariser Klimaabkommen (siehe Infobox) vereinbarte 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen, dürfte bis in einem Jahrzehnt kein CO2 mehr ausgestossen werden. Es ist daher davon auszugehen, dass die Klimaerwärmung in den nächsten Jahrzehnten mehr als 1,5° C betragen wird.
 

INFO

DER IPCC

Der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) – meist als Weltklimarat bezeichnet – wertet laufend wissenschaftliche Studien zum Klimawandel aus und schafft Grundlagen für politische Entscheidungsträger. Er gibt jedoch keine Handlungsempfehlungen ab. Ins Leben gerufen haben den IPCC das Umweltprogramm der vereinten Nationen sowie die Weltorganisation für Meteorologie. Der IPCC arbeitet nach strengsten wissenschaftlichen Kriterien, dem sogenannten «Goldstandard». Die Sachstandsberichte des IPCC gelten innerhalb der Wissenschaft als fundierteste Auswertung bezüglich naturwissenschaftlicher, technischer und sozioökonomischer Fragen rund um den Klimawandel.


POLARFRONT WANDERT NACH NORDEN

1,5° C ist eine abstrakte Zahl. Was bewirkt sie genau? Laut dem Bericht «CH2018» des Bundesamts für Meteorologie und Klimatologie Meteo Schweiz sind die Folgen hierzulande trockenere Sommer, mehr Hitzetage (Höchsttemperatur über 30° C), mehr Tropennächte (Tiefsttemperatur über 20° C) und allgemein weniger kalte Winter. Zudem nimmt die Zahl starker Regenfälle und damit die Überschwemmungsgefahr zu, im Winter wird es hingegen immer weniger schneien. 

Gesamthaft betrachtet wird das Klima in der Schweiz also mediterraner. Grund dafür ist hauptsächlich die Polarfront, welche aufgrund der Klimaerwärmung immer weiter nach Norden wandert. Im Gegensatz zu den vergangenen Jahrhunderten wird die Schweiz künftig meist südlich dieser Polarfront liegen.

 

GRÖSSTES PROBLEM: WENIGER WASSER

Durch die steigenden Temperaturen geraten unsere Wälder unter Druck: Sie können sich nicht innert weniger Jahrzehnte erneuern; der Wechsel auf neue Baumarten dauert wesentlich länger. Und bis heute ist man sich nicht sicher, welche Baumarten in Zukunft überhaupt eine Chance haben. Das Risko von Waldsterben und Waldbränden steigt daher durch den Klimawandel markant. Gleichzeitig sind Wälder als natürliche Klimaanlagen und für den Wasserhaushalt unverzichtbar – ohne Wälder wirken sich die höheren Temperaturen noch viel drastischer aus.

Mit dem Klima ändert sich auch das Wetter. «CH2018» geht davon aus, dass extreme Wetterereignisse wie Starkregen, Stürme und Dürre in der Schweiz zunehmen werden. Als grösstes Problem erachten die Forscherinnen und Forscher die zunehmende Trockenheit. Wasser wird dadurch zeitweise knapp, es kommt zu Einbussen in der Landwirtschaft und der Ertrag an Strom aus Wasserkraft sinkt. Doch wieso wird das Wasser überhaupt knapp? 

 

DIE GLETSCHER VERSCHWINDEN

In den Alpen taut der Permafrost zunehmend auf: Es kommt dadurch vermehrt zu Hangrutschen, einstmals sichere Orte werden zur Gefahrenzone und müssen in Zukunft speziell gesichert werden. Schon heute sichtbar ist die Gletscherschmelze. Es ist davon auszugehen, dass drei Viertel der Schweizer Gletscher in den nächsten Jahrzehnten verschwinden. Was zurückbleibt, sind riesige Schuttmassen, die nicht mehr stabilisiert sind. Eine Gefahr für die unten im Tal liegenden Orte, die mit grossem Kostenaufwand gebannt werden muss.

Weniger Schnee und Eis in den Alpen bedeutet weniger Wasser. Dabei geht es nicht nur um die absolute Menge: Gletscher und Schnee sind wichtige Wasserspeicher. So sorgt die jährliche Schneeschmelze dafür, dass von Frühling bis Sommer kontinuierlich Wasser in die Täler gelangt, wo es Natur, Mensch, Landwirtschaft und Gewerbe gleichermassen benötigen. Die gleiche Menge als einmaliger Regen ist hingegen nach wenigen Tagen abgeflossen.
 

INFO

PARISER KLIMASCHUTZABKOMMEN

Das Übereinkommen von Paris (Pariser Klimaschutzabkommen) haben am 4. November 2016 alle UN-Mitgliedsstaaten unterzeichnet. Unter Donald Trump stiegen die USA zwischenzeitlich aus, dies hat der amtierenden US-Präsidenten Joe Biden jedoch wieder rückgängig gemacht. Der Vertrag soll dafür sorgen, dass die Erderwärmung auf unter zwei Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit beschränkt wird. Wenn möglich, soll die Erwärmung sogar auf 1,5° C beschränkt werden.


GLOBALISIERTE WELT = GLOBALISIERTE PROBLEME

Auf der ganzen Welt seien zwischen 3,3 und 3,6 Milliarden Menschen stark durch den Klimawandel gefährdet, schreibt der IPCC. Stark betroffen sollen West-, Zentral- und Ostafrika sowie Südasien, Zentral- und Südamerika sein. In diesen Regionen drohen Dürre, Wasserknappheit und Hungersnöte. Ebenso sind alle Küstenregionen bedroht: Schmilzt das Eis an den Polkappen und der Gletscher, steigt der Meeresspiegel. Szenarien gehen von 30 cm bis über einem Meter bis ins Jahr 2050 aus. Im schlimmsten Fall könnten dadurch ganze Städte unbewohnbar werden.

Im weltweiten Vergleich scheint die Schweiz punkto Klimaerwärmung privilegiert zu sein. Zwar sind die negativen Folgen auch hierzulande gravierend, scheinen aber bewältigbar. Nur: Wir leben in einer globalen Welt. Die Schweizer Wirtschaft ist mit der gesamten Welt verwoben, eine globale Wirtschaftskrise geht auch hierzulande nicht spurlos vorüber. Genauso wie eine humanitäre: Sollten die globalen Temperaturen tatsächlich so weit wie in den schlimmsten Szenarien ansteigen, so wird es weltweit zu grossen Flüchtlingsströmen und Konflikten kommen.

 

NICHT NUR DIE NATUR LEIDET

Hitzewellen gefährden auch in der Schweiz zunehmend die Gesundheit. So steigt die Sterblichkeit während eines Hitzesommers messbar. Im Rekordsommer von 2003 lag sie zum Beispiel um sieben Prozent höher als üblich. Grund dafür ist, dass der menschliche Körper mit Hitze weniger gut umgehen kann als mit Kälte. Denn es ist einfacher, Kälte durch Verbrennen von Kalorien auszugleichen als Hitze durch Schwitzen abzuführen. Der Kühleffekt ist – verglichen mit unserer internen Heizung – weniger effizient, zudem nimmt er mit steigender Luftfeuchtigkeit ab.

Welche Gefahren gibt es für einen überhitzten Körper? Am Anfang sinkt die Leistungsfähigkeit. Untersuchungen haben gezeigt, dass wir bei 23° C noch volle Leistung bringen können, bei 30° C ist sie aber bereits um 30 bis 50 % reduziert. Sind wir noch heisseren Temperaturen ausgesetzt, dann fällt unsere Leistungsfähigkeit sogar unter 50 %. Es steigt dann auch die Wahrscheinlichkeit einer Erschöpfung oder gar eines Hitzschlags, und bestehende Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-, Atemwegs-, Nieren- oder psychische Erkrankungen verschlimmern sich. Zudem besteht die Gefahr einer Dehydrierung, die im schlimmsten Fall tödlich sein kann.

 

VON TECHNOLOGIE ABHÄNGIG

Im Kampf gegen den Klimawandel sind zahlreiche Massnahmen wichtig. Gesetze und Klimaziele allein werden nicht reichen. Denn man kann zwar weniger oder gar keinen CO2-Ausstoss fordern, in Realität umsetzen lässt sich das jedoch nicht von heute auf morgen. Denn das Überleben der Menschheit hängt – seit Jahrhunderten und nicht erst seit gestern – von Technologie ab. Sie hat Zivilisation erst möglich gemacht.

Zielführend kann daher nur eine Kombination aus neuer, umweltfreundlicher Technologie und teilweisem Verzicht sein. Radikaler Verzicht und Verbote würden hingegen unzähligen Menschen die Lebensgrundlagen entziehen.

 

INFO

DER TREIBHAUSEFFEKT

Die Sonne schickt 10'000 Mal mehr Energie zur Erde, als alle Menschen zusammen verbrauchen. Doch ohne Erdatmosphäre würde der grösste Teil dieser Wärme nachts wieder ins Weltall abgestrahlt und verpuffen. Die Temperaturen lägen dann durchschnittlich bei - 18 °C, Leben wäre auf unserem Planeten nicht möglich. Der natürliche Treibhauseffekt sorgt jedoch dafür, dass ein Teil der von der Erdoberfläche abgestrahlten Wärme wieder zurückreflektiert wird. Die durchschnittliche Temperatur auf der Erde hat sich dadurch – in den letzten Jahrtausenden – bei 14° C eingependelt.

Verantwortlich für den Treibhauseffekt sind Wasserdampf und Treibhausgase wie Kohlendioxid (CO2) und Methan (CH4). Diese nehmen Wärmestrahlung auf, beginnen zu schwingen und geben sie dann wieder ab – und zwar in alle Richtungen. Ein Teil geht also zurück zur Erde. Ohne Treibhausgas würde jedoch sämtliche von der Erdoberfläche abgestrahlte Wärme ins Weltall gelangen.
Die Konzentration an Treibhausgasen ist seit Jahrtausenden etwa konstant, was zu einem stabilen Klima geführt hat. An dieses haben sich – je nach klimatischer Zone – verschiedene Pflanzen und Tiere angepasst. Ein evolutionärer Prozess, der Jahrtausende benötigte. Nun steigt die Konzentration an Treibhausgasen – insbesondere jene von CO2 – rasant an. Es wird daher mehr Wärmestrahlung zur Erde zurückgeworfen, die Temperaturen steigen und damit ändert sich das Klima.

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, wie extrem sich die Welt dadurch ändern kann: Im Eozän vor rund 50 Millionen Jahren war die CO2-Konzentration in der Atmosphäre drei- bis viermal höher als heute. Der Effekt: Die Durchschnittstemperaturen lagen bei etwa 25° C – mehr als 10° C über der heutigen. Auf der Erde von damals gab es keine Polkappen, der Landanteil war dadurch kleiner. Im tropisch schwülen Klima lebten Tiere und Pflanzen, die längst ausgestorben sind. Kein Wunder: Die Evolution hatte sie für diese Lebensbedingungen optimiert, in unserem heutigen Klima hätten sie fast nirgendwo eine Überlebenschance. 

 

ENERGIEEFFIZIENZ UND ERNEUERBARE ENERGIE

Welche Technologien helfen gegen die Klimaerwärmung? An erster Stelle steht die Energiewende, bei der erneuerbare Energie fossile Energieträger ersetzt. Hier hat Elektrizität aus Wasser- und Windkraft sowie aus Photovoltaik die tragende Rolle. Ebenfalls wichtig ist Biomasse, aus der sich direkt Heizenergie oder Biogas herstellen lässt.

Doch die Energiewende verlangt nicht nur nach neuer Energie, sondern auch nach deutlich mehr Energieeffizienz. Die grössten Hebel beim Energiesparen liegen im Gebäudebereich, der Mobilität sowie in der Landwirtschaft und Industrie. Durch energieeffiziente Bauweise sowie verbrauchsarme Motoren und Prozesse lässt sich schon heute viel erreichen. Doch ist weiterhin viel Innovation erforderlich.

 

CO2 AUS DER LUFT NEHMEN

Start-ups wie das Schweizer Unternehmen Climeworks lassen hoffen: Sie entwickeln Technologien, mit denen sich CO2 der Luft entnehmen lässt. Bereits heute im Einsatz befinden sich riesige Ventilatoren, die Luft ansaugen und CO2 aus der Luft filtern. Solche Anlagen lassen sich dort aufstellen, wo am meisten CO2 entsteht.

Am einfachsten ist es allerdings, Wälder wieder aufzuforsten. Denn wachsende Bäume binden tonnenweise CO2 aus der Luft. Bewirtschaftet man diese Wälder zudem, bleibt das gespeicherte CO2 später in Form von Holz gespeichert – während wieder neue Bäume wachsen. Stand heute ist das Aufforsten von Wäldern denn auch die effizienteste Massnahme, um CO2 wieder der Atmosphäre zu entnehmen. Der Effekt von CO2-Filtern beträgt heute gerade einmal ein Tausendstel davon. Trotzdem lassen diese Technologien hoffen: Sie stecken noch in den Kinderschuhen und haben grosses Wachstumspotenzial. Es kann also sein, dass moderne Technologie dereinst die Schäden veralteter Technologie wieder gutmacht – zumindest teilweise.