Energie im Fokus der Politik
Energiethemen stehen heute weit oben auf der politischen Agenda. So kam es dazu.
Text — Raphael Hegglin
Wer sammelt heute Brennholz? Findet sich überhaupt noch genug Holz im angrenzenden Wald? Und: Geht es das nächste Mal etwas trockener? Energiepolitik haben vermutlich schon die Steinzeitmenschen betrieben. Diese dürfte allerdings ohne ausschweifende Debatten und gegensätzliche Ideologien ausgekommen sein.
Heute ist Energiepolitik wesentlich komplexer und sie findet auf kommunaler Ebene genauso statt wie auf nationaler und internationaler. Der Kern der Sache ist derselbe geblieben: Die für die Menschheit lebensnotwendige Energieversorgung sicherzustellen – jederzeit.
ALS DER HUNGER NACH ENERGIE STIEG
Die Geschichte der nationalen und internationalen Energiepolitik begann mit der industriellen Revolution, als Kohle und Wasserkraft zu den wichtigsten Energiequellen wurden – und sich der Energieverbrauch der Menschheit innert kurzer Zeit vervielfachte. Stabilität und Wachstum waren schon damals nur mit ausreichenden Mengen an Energie möglich. So entstand ein internationaler Handel mit Energieträgern.
Die damaligen Kolonialmächte etablierten Machtstrukturen, um ihren wachsenden Hunger nach Energie decken zu können. Es kam an vielen Orten dieser Welt zu Konkurrenzsituationen und demzufolge zu Kriegen. Auch heute werden immer noch Kriege um Energieträger geführt. Denn bricht die Energieversorgung in einem Land zusammen, führt dies schnell zu einem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kollaps.
SEILSCHAFTEN AUFGRUND DER ÖLKRISEN
Glücklicherweise erkannte die internationale Gemeinschaft mit der Zeit, dass die Versorgungssicherheit grösser ist, wenn man zusammenspannt: Die Ölkrisen der 1970er-Jahre gaben den Ausschlag, verbindlich zusammenzuarbeiten. So gründeten in dieser Zeit 16 Industriestaaten die Internationale Energieagentur IEA. Heute sind 31 Staaten Mitglied der IEA, darunter auch die Schweiz.
Die IEA erforscht Energietechnologien und fördert den internationalen Energiemarkt. Ausserdem verfügt sie über strategische Ölreserven, mit denen sie in den Ölmarkt eingreifen kann. Denn die Ölkrisen haben gezeigt, wie abhängig viele westlichen Staaten von den erdölfördernden Nationen sind. Heute beschäftigt sich die IEA nicht nur mit fossilen Energieträgern, sondern auch mit Uran für Kernkraftwerke und erneuerbaren Energien.
DER UMWELTSCHUTZ KOMMT DAZU
In den vergangenen drei Jahrzehnten hat sich die Energiepolitik gewandelt: Während es früher in erster Linie um die Versorgungssicherheit ging, spielen heute der Umwelt- und Klimaschutz eine ebenso grosse Rolle. Energie soll nicht nur in ausreichender Menge, sondern auch umweltfreundlich produziert werden.
Das Übereinkommen von Paris, oft als Klimaabkommen bezeichnet, haben seit 2015 über 190 Staaten unterzeichnet. Damit verpflichten sie sich, die globale Erwärmung auf «deutlich unter» zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen. Zudem wollen die Länder Strategien entwickeln, um sich an die Klimaerwärmung anzupassen, und die Finanzströme zugunsten klimafreundlicher Technologien lenken.
MEHR REDEN ALS HANDELN
Die Ziele des Übereinkommens von Paris sind klar formuliert, an erster Stelle steht die Dekarbonisierung, also CO2-neutral zu werden. Die Massnahmen, um dies zu erreichen, bleiben jedoch den einzelnen Ländern vorbehalten.
Es überrascht nicht, dass die Unterschiede daher gross sind. Während manche Nationen die Energiewende für verbindlich erklärt haben, winden sich andere – oder investieren sogar weiterhin grosse Summen in fossile Technologien. So geht die IEA davon aus, dass der weltweite Verbrauch von Erdöl in den nächsten 10 Jahren weiter steigen wird, bis er allmählich zurückgeht. Erdgas dürfte sogar noch länger ein wichtiger Energieträger bleiben.
EHRGEIZIGE ZIELE
Wie setzt die Schweiz das Übereinkommen von Paris um? Mit der Energiestrategie 2050 hat sie den ersten Grundstein gelegt. Diesen hat das Schweizer Stimmvolk 2017 im Rahmen des revidierten Energiegesetzes angenommen. Die wichtigsten Ziele daraus sind der Ausstieg aus der Kernkraft, die Förderung von erneuerbaren Energien und die Steigerung der Energieeffizienz.
Konkret soll zum Beispiel bis 2050 Elektrizität nur noch CO2-neutral produziert werden und alle fossilen Energieträger zu grossen Teilen ersetzt sein. Gleichzeitig soll die Energieeffizienz steigen: Bezogen aufs Jahr 2000 soll der Schweizer Stromverbrauch bis 2035 um 13 % sinken, danach bis 2050 um noch einmal 5 %
INFO
ENERGIEPOLITIK UND HAUSBESITZ
Das Stimmvolk hat die revidierte Fassung des CO2-Gesetzes am 13. Juni 2021 abgelehnt. Der Bundesrat hat darauf einen neuen Entwurf präsentiert, der den Gebäudebereich ausklammert und ihn damit weiter den Kantonen überlässt. Für Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer sind also vor allem die Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (MuKEn 2014) ausschlaggebend. Diese definieren die energetischen Vorgaben an Neubauten wie auch bestehende Bauten. Der Vollzug der MuKEn 2014 obliegt den Kantonen. Mittlerweile sind in fast allen Kantonen Teile dieser Vorschriften eingeführt, oder sie befinden sich in der Vernehmlassung. Schrittweise werden in den kommenden Jahren zudem weitere Vorgaben der MuKEn 2014 eingeführt.
WIRD KERNKRAFT WIEDER SALONFÄHIG?
Der Zuwachs an erneuerbarer Energie verläuft heute viel zu langsam, als dass sich damit die Ziele der Energiestrategie 2050 verwirklichen liessen. Die Stimmen, welche nach neuen Kernkraftwerken rufen und damit eine Kurskorrektur vornehmen möchten, werden daher immer lauter. So hat das Komitee «Energie Club Schweiz» am 16. Februar dieses Jahres die Volksinitiative «Jederzeit Strom für alle (Blackout stoppen)» eingereicht.
Sie fordert unter anderem, dass Strom aus Kernkraft zu den klimafreundliche Stromerzeugungsarten zählt und das Verbot neuer Kernkraftwerke aufgehoben wird. Wann wir über diese Initiative abstimmen werden, ist zurzeit noch unklar.
STROMABKOMMEN SCHWEIZ – EU
Ob mit oder ohne Kernkraftwerke: Die Schweiz wird punkto Energieversorgung immer vom Ausland abhängig bleiben. Denn das Uran für die Brennstäbe wie auch das Material für Solarzellen und Windkraftanlagen können wir nicht selbst herstellen. Ebenfalls ist es mit vernünftigem Aufwand nicht möglich, alle Stromverbrauchsspitzen mit eigenen Kraftwerkern abzudecken. Dies würde eine massive Überkapazität der Kraftwerke erfordern – und somit unverhältnismässig hohe Ausgaben.
Die Schweiz wird daher auch in Zukunft auf Stromimporte aus dem Ausland angewiesen sein. Doch momentan sind diese nicht verbindlich geregelt. Ganz oben auf der politischen Agenda steht daher das Stromabkommen mit der EU, welches künftig die Versorgungssicherheit gewährleisten soll. Das Parlament hat den Bundesrat bereits damit beauftragt, Verhandlungen aufzunehmen. Allerdings: Für die EU setzt ein Stromabkommen die vollständige Liberalisierung des Strommarktes voraus. Eine solche würde bedeuten, dass auch Kleinkunden wie Haushalte frei wählen können, bei welchem Anbieter sie ihren Strom beziehen. Dieses Anliegen ist im Parlament mehrmals gescheitert.
TURBULENTE JAHRE STEHEN BEVOR
Auf Bundesebene stehen uns ebenfalls spannende energiepolitische Jahre bevor. So hat eine Allianz aus kompromisslosen Landschaftsschützern und Gegnern erneuerbarer Energien das Referendum gegen das Bundesgesetz über die sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien ergriffen. Dieses haben National- und Ständerat mit deutlicher Mehrheit durchgewunken. Sollte das Referendum zustande kommen, wird es in der Schweiz künftig noch schwieriger werden, Solar- oder Windkraftanlagen zu bauen.
2021 haben 51,6 % der Stimmberechtigten das neue CO2-Gesetz abgelehnt. Dem Klima- und Innovationsgesetz haben sie jedoch vergangenen Juni zugestimmt. Der Bundesrat arbeitet daher weiter an der Umsetzung des Klimaschutzgesetzes. Mindestens Teile des abgelehnten CO2-Gesetzes kommen damit wieder auf den Tisch. Nun gilt es, die Anliegen des Klimaschutzes und jene der Versorgungssicherheit unter einen Hut zu bringen. Rein technisch und wirtschaftlich betrachtet, ist das möglich. Solange Ideologien die Energiepolitik dominieren, dürfte es jedoch schwierig bleiben.