Klima-Zertifikate: Ablasshandel oder griffige Werkzeuge?
Immer mehr Projekte wollen Treibhausgase reduzieren oder gar der Atmosphäre entnehmen. Ob sich so die Klimaerwärmung reduzieren lässt, ist umstritten.
Text — Raphael Hegglin
Kohlendioxid, CO2, entspringt verschiedenen Quellen. Die gewichtigsten sind fossile Brennstoffe, die Zementproduktion sowie die Brandrodung von Wäldern. Verbrennt man hingegen Holz aus nachhaltiger Waldwirtschaft, so befindet sich das erzeugte CO2 in einem natürlichen Kreislauf: Wächst anstelle des gefällten Baumes ein neuer, so bindet er dieses CO2 wieder.
CO2 aus fossilen Brennstoffen oder der Zementproduktion hingegen reichert sich in der Atmosphäre an und trägt so massgeblich zur Klimaerwärmung bei. Der weltweite CO2-Ausstoss soll daher drastisch sinken. Schlüssel dazu sind Energieeffizienz und erneuerbare Energie. Nur: In vielen Fällen lassen sich Prozesse nicht einfach umstellen. So gibt es bis heute keine serienmässigen Flugzeuge, die nicht mit fossilen Brennstoffen fliegen, und auch die Zementproduktion ist ohne CO2-Ausstoss heute nicht möglich.
CO2-EMISSION NICHT IMMER VERMEIDBAR
Es gibt also Wirtschaftssektoren, die ihren CO2-Ausstoss nur in geringem Masse drosseln können. Damit auch sie einen Beitrag zu Klimaschutz leisten können, entstanden die Klimazertifikate: ein handelbares Dokument, welches das Recht verleiht, eine bestimmte Menge an Treibhausgasen auszustossen. Dieses Recht erkauft man sich dadurch, dass an anderer Stelle die entsprechende Menge CO2 eingespart oder aus der Atmosphäre entnommen wird.
Unternehmen, die mehr einsparen als sie müssen, können so – gegen Bezahlung – ihr eingespartes CO2 einem anderen Unternehmen gutschreiben. Dieser Mechanismus soll finanzielle Anreize für Unternehmen schaffen, in saubere Technologien zu investieren und ihre Emissionen so weit wie möglich zu reduzieren.
MIT PROJEKTEN CO2 REDUZIEREN
Nicht nur Unternehmen, die besonders viel CO2 einsparen, können Klimazertifikate verkaufen. Organisationen, die Wälder aufforsten oder Projekte, durch die fossile Brennstoffe mit erneuerbarer Energie ersetzt werden, können ebenfalls Klimazertifikate ausstellen. Insbesondere in Entwicklungs- und Schwellenländern hat dies zu einem hohen Zuwachs an Umweltprojekten geführt. Seit einiger Zeit gibt es zudem Firmen, die durch neue Technologien CO2 direkt der Atmosphäre entnehmen und diese Entnahme als Zertifikat verkaufen. Ein Beispiel hierfür ist die Schweizer Firma Climeworks.
EFFEKT OFT GERINGER ALS VERSPROCHEN
Was als wirtschaftlich getriebenes System zum Klimaschutz gedacht war, ist heute teilweise in Verruf geraten. Kritiker bezeichnen Klimazertifikate als Ablasshandel ohne grossen Nutzen für die Umwelt, sie seien zum Greenwashing für Unternehmen verkommen.
Die Einwände sind nicht unbegründet: Eine breit angelegte ETH-Studie aus dem Jahre 2023 kam zum Schluss, dass nur 12 Prozent der verkauften CO2-Zertifikate erfüllen, was sie müssten. So funktionieren zahlreiche Waldschutzprojekte nicht, weil Gelder in korrupten Ländern zweckentfremdet bzw. gestohlen werden oder weil das Projekt nicht mit ausreichend ökologischem Wissen umgesetzt wird – die Aufforstung also nicht nachhaltig gelingt.
Teilweise gescheitert sind auch Projekte, welche die Energieeffizienz fördern sollen. So hat man in Entwicklungsländern zum Beispiel effiziente Holzöfen verteilt, damit die lokale Bevölkerung geringere Mengen Brennholz benötigt – und dadurch die Wälder weniger abholzt. Es hat sich jedoch gezeigt, dass die neuen Öfen nur teilweise und die alten parallel dazu weiter genutzt werden. Die Menge an eingesparten CO2 fällt dadurch wesentlich geringer aus, als auf den CO2-Zertifikaten ausgewiesen.
DAS EINE TUN UND DAS ANDERE LASSEN
Punkto Klimazertifikate stellen sich zudem grundsätzliche Fragen: Mit der Aufforstung von abgeholzten Wäldern macht man zum Beispiel nur Fehler aus der Vergangenheit rückgängig – etwas, das zum Schutz der Erde ohnehin notwendig ist. Soll ein Aufforstungsprojekt daher überhaupt ermöglichen, dass an anderer Stelle weiterhin CO2 ausgestossen wird?
Tatsache ist, der globale Ausstoss an CO2 sinkt nicht. Und der Handel mit Klimazertifikaten hat teilweise absurde Formen angenommen. So werden zum Beispiel in den USA neue Kohlekraftwerke gebaut und diese mittels CO2-Zertifikate grün gewaschen. Und auch hierzulande gibt es Unternehmen, die lieber günstige Klimazertifikaten von ausländischen Projekten im Ausland kaufen, als die eigene Energieeffizienz zu verbessern. Auf dem Papier mag dieser Handel aufgehen, in Realität aber verpufft der Effekt.