Hoffnungsträger Wasserstoff

Wasserstoff ist ein Energieträger, der sich ähnlich wie fossile Brennstoffe einsetzen lässt und daher gut in unser bestehendes Energiesystem passt – auf den ersten Blick jedenfalls.

Text — Raphael Hegglin

 

Nichts ist bequemer, als wenn alles beim Alten bleibt. Wer auf bestehenden Technologien aufbauen kann, profitiert von der Erfahrung vorheriger Generationen. Aus wirtschaftlicher Sicht ist es – zumindest kurzfristig betrachtet – günstiger, bereits vorhandene Technologien und Produkte weiterzuentwickeln, als neue zu erfinden.

Fossile Brennstoffe wie Benzin, Erdgas und Erdöl durch Wasserstoff zu ersetzen, ist daher verlockend. Denn verbrennt Wasserstoff, so entsteht dabei nur Wasserdampf und kein klimaschädliches Treibhausgas. Gleichzeitig wird Wasserstoff, ein Gas, in Tanks gelagert und transportiert. Er lässt sich also mehr oder weniger so handhaben wie fossile Brennstoffe und passt daher gut in unser bestehendes Energiesystem – und vor allem zu unseren Gewohnheiten.

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Wasserstoff lässt sich wie andere Brennstoffe dezentral in Tanks lagern.


NACHHALTIG IST NUR GRÜNER WASSERSTOFF

Doch woher stammt Wasserstoff überhaupt? Elementar, also in reiner Form, kommt Wasserstoff auf der Erde nur in geringer Menge vor. Zwar hat man jüngst einige Lagerstätten in der Erdkruste entdeckt; wie gross sie sind und ob sie sich ausbeuten lassen, ist bis heute jedoch ungeklärt.

Reinen Wasserstoff muss man also herstellen. Dies geschieht heute auf drei Arten, wovon nur die eine nachhaltig ist: Dieser grüne Wasserstoff lässt sich durch Elektrolyse gewinnen. Dabei wird Wasser mittels Strom in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten. Stammt der für diesen Prozess erforderliche Strom aus erneuerbaren Energiequellen wie Wasserkraft oder Photovoltaik, so erhält man klimaverträglichen Wasserstoff.
 

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GEWINNUNG WASSERSTOFF

In der Natur kommt Wasserstoff selten in reiner Form vor. Daher muss man ihn zuerst gewinnen. Zum Beispiel mittels elektrolytischer Spaltung von Wasser, wozu Strom erforderlich ist.

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WASSERSTOFF AUS FOSSILEN BRENNSTOFFEN

Elektrizität ist ein rares Gut, weshalb die Industrie heute den grössten Teil des Wasserstoffs aus Erdgas bzw. seinem Hauptbestandteil Methan gewinnt. Als Nebenprodukt entsteht in diesem Prozess CO2, der so hergestellte graue Wasserstoff ist daher keinesfalls klimaverträglich.

Daher versucht man, das unerwünschte Nebenprodukt CO2 abzuscheiden und einzulagern, damit es nicht in die Erdatmosphäre gelangen kann. So entsteht blauer Wasserstoff. Allerdings: Im ganzen Verfahren gelangen grosse Mengen Methan in die Atmosphäre. Dieser sogenannte Methanschlupf bewirkt, dass blauer Wasserstoff sogar mehr Treibhauseffekt verursacht, als wenn Erdöl oder Erdgas verbrennen.
 

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DAS IST WASSERSTOFF

Wasserstoff kommt von allen chemischen Elementen im ganzen Universum am meisten vor. Auch auf der Erde findet man es überall: Es ist wesentlicher Bestandteil von Wasser und von jeder Biomasse. In reiner Form, als H2, ist Wasserstoff ein farbloses, geruchloses und ungiftiges Gas, das leicht entzündlich ist. Die Bezeichnungen grüner, blauer und grauer Wasserstoff haben also nichts mit seinem Aussehen zu tun, sondern bezeichnen lediglich seine Herstellungsart – wobei grün für die nachhaltige steht.

In der Natur kommt Wasserstoff nur selten in reiner Form vor, fast immer ist er chemisch gebunden. Als Energieträger muss man ihn daher zuerst – mit Energieaufwand – aus chemischen Verbindungen gewinnen. Ein Weg ist die Elektrolyse von Wasser: Mit elektrischem Strom wird Wasser in seine reinen Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt. Doch in der Forschung beschäftig man sich intensiv mit neuen, noch effizienteren Methoden. So gelang es im Labor, Wasser mittels Sonnenlicht direkt zu spalten. Ähnliches gelang mit Bakterien und Algen, die Wasserstoff produzieren. Zwar funktionieren diese Verfahren noch nicht im grossen Massstab, doch könnten sie dereinst eine wesentlich effizientere und ressourcenschonendere Wasserstoffproduktion ermöglichen – und damit der Wasserstoff-Wirtschaft zum Durchbruch verhelfen.


OHNE STROM KEIN WASSERSTOFF

Soll Wasserstoff ein zukunftstauglicher Energieträger sein, muss man ihn also mit Strom aus erneuerbarer Energie erzeugen. Das geschieht schon heute: Dazu werden temporär anfallende Stromüberschüsse, die sich nicht speichern lassen, verwendet. Man nennt dieses Verfahren Power-to-Gas – von Strom zu Gas (oder flüssigem Treibstoff).

Laut Bundesamt für Energie sind in der Schweiz in den letzten Jahren ein paar kleinere Produktionsanlagen für grünem Wasserstoff realisiert worden. Dieser kommt aktuell vor allem im Schwerverkehr in Brennstoffzellen-Lastwagen zum Einsatz. Im Gesamtenergieverbrauch der Schweiz spielt er heute allerdings keine Rolle. Trotzdem bearbeitet der Bund derzeit zahlreiche Vorstösse zu Wasserstoff und Power-to-Gas und wird Ende 2024 eine nationale Wasserstoffstrategie vorlegen.

 

ZWEIFEL AN WASSERSTOFF ALS ENERGIETRÄGER WÄCHST

Zunehmend werden kritische Stimmen zur Wasserstoffwirtschaft laut, darunter auch aus der Wissenschaft. So schreibt der ETH-Professor Anthony Patt in seinem Meinungsblog «Wasserstoff für Transport und Wärme ist der falsche Weg»: «Wasserstoff ist die letzte Überlebenschance für die Öl- und Gasindustrie – entsprechend spielen diese das politische Spiel. Sollten sie gewinnen, werden Umwelt und Gesellschaft verlieren.» Seine Begründung: Die Kernkompetenz der fossilen Energiewirtschaft liege in der Verarbeitung, Lagerung und Lieferung von Kraftstoffen über Pipelines und Verkaufsstellen an die Kunden. Wasserstoff als Energieträger entspreche diesem Konzept.

Natürlich gebe es Anwendungen, wo Wasserstoff die Dekarbonisierung unterstützen kann, etwa als saisonaler Energiespeicher, bei der Stahlproduktion oder als Zwischenschritt bei der Synthese nachhaltiger Flugzeugtreibstoffe, schreibt Professor Anthony Patt allerdings auch weiter.
 

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WASSERSTOFF UND MOBILITÄT

In Motorfahrzeugen lässt sich Wasserstoff als Energieträger auf zwei Arten nutzen: In Brennstoffzellen oder Verbrennungsmotoren. Etabliert haben sich mittlerweile Brennstoffzellen, in denen Wasserstoff mit Sauerstoff wieder zu Wasser reagiert. Dabei entsteht elektrischer Strom, der einen Elektromotor antreibt. Brennstoffzellenfahrzeuge sind also Elektrofahrzeuge, die ihren Strom nicht aus einer Batterie beziehen, sondern ihn mittels einer chemischen Reaktion selbst erzeugen. Punkto Energieeffizienz schneiden Wasserstoff-Brennstoffzellenfahrzeuge wesentlich schlechter ab als Elektrofahrzeuge mit Batterie: Durch den Umweg über Wasserstoff, der zuerst produziert werden muss, benötigen sie zwei bis dreimal mehr Strom für einen Fahrkilometer.

Wasserstoff als Energieträger hat gegenüber Strom aus Akkus jedoch auch Vorteile: Er lässt sich einfacher und in grösserer Menge speichern. Das ist vor allem für den Flugverkehr attraktiv, da auch die grössten Akkus für Langstreckenflugzeuge nicht reichen. Zahlreiche Flugzeughersteller entwickeln daher zurzeit Wasserstoff-Flugzeuge. Ziel von Airbus ist es zum Beispiel, bereits ab 2035 Wasserstoff-elektrische Grossflugzeuge einzusetzen.


AKKUS SIND EFFIZIENTER ALS WASSERSTOFF-BRENNSTOFFZELLEN

Zahlreiche weitere Wissenschafterinnen und Wissenschafter äussern ebenfalls Bedenken. Ihr Hauptkritikpunkt ist die schlechte Energieeffizienz der Wasserstoffwirtschaft. Denn wenn aus Strom zuerst Gas produziert werden muss, um danach wieder Strom herzustellen, dann sind die Verluste gross. So setzen Wasserstoff-Brennstoffzellenfahrzeuge gerade einmal 25 bis 35 % des ursprünglich eingesetzten Stroms in Bewegungsenergie um, während es bei batteriebetriebenen Fahrzeugen 70 bis 90 % sind.

 

HOHER ENERGIEVERBRAUCH ERHÖHT KOSTEN

Mit der gleichen Menge Strom fahren herkömmliche Elektroautos also mehr als doppelt so weit wie Autos mit einer Wasserstoff-Brennstoffzelle. Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin, sagt: Um Wasserstoffautos mit hohen Stückzahlen herzustellen, wären zahlreiche Länder auf den Import von regenerativem Wasserstoff angewiesen –  was zeitnah kaum realisierbar sei. Ausserdem werde die Wasserstofflösung wegen der hohen Energieverluste am Ende auch teurer sein als die Batterievariante. Die Klimabilanz beider Fahrzeugvarianten unterscheide sich dagegen am Ende kaum.
 

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HEIZEN UND WASSERSTOFF

Wasserstoff lässt sich als Brennstoff verwenden. Dann heizt man mit ihm wie mit einer Gasheizung, im Heizkessel verbrennt jedoch Wasserstoff. Verbrennt grüner Wasserstoff, dann ist die Heizung nachhaltig und klimafreundlich. Der Wirkungsgrad eines Wasserstoff-Heizkessels ist allerdings wesentlich geringer als jener einer Wärmepumpe. Doch Wasserstoff lässt sich auch in Brennstoffzellen-Heizungen nutzen. Diese produzieren primär Strom und als Nebenprodukt Wärme. Während diese Wärme in Fahrzeugen verpufft, lässt sie sich in Häusern zum Heizen nutzen. Da sie also sowohl der elektrische Strom wie auch die Wärme genutzt werden, erreichen Brennstoffzellen-Heizungen einen Wirkungsgrad von bis zu 90 %. Weltweit sind schon zahlreiche Brennstoffzellen-Heizungen in Betrieb. Führend ist Japan, dort hat man seit 2009 mehr als eine halbe Million solcher Anlagen installiert.

WASSERSTOFF-FABRIKEN IN AFRIKA

Damit Wasserstoff eine Schlüsselrolle in der Energiewende einnehmen kann, müsste erheblich mehr Strom aus erneuerbaren Energiequellen zur Verfügung stehen – und dies bei einem ohnehin steigenden Strombedarf. Die Idee ist daher, Wasserstoff in Gebieten mit hoher Sonneneinstrahlung herzustellen und danach an den Ort des Verbrauchs zu transportieren.

Attraktive Standorte liegen zum Beispiel in Spanien oder in Afrika. Dort liesse sich in grossen Produktionsanlagen mittels Strom aus Photovoltaik grüner Wasserstoff herstellen. Laut Internationaler Energieagentur IEA könnte Afrika jährlich 5’000 Megatonnen Wasserstoff produzieren – so viel wie die aktuelle Gesamtenergieversorgung der Welt.

 

GIBT ES AUSREICHEND WASSER?

Auf dem Papier die Universallösung, in der Praxis problembehaftet: Um ein Kilogramm Wasserstoff herzustellen, sind etwa 9 Liter sauberes Wasser erforderlich. Doch gerade an solchem mangelt es meist an Orten mit viel Sonne. Immer mehr Organisationen warnen daher davor, dass die Wasserstoffproduktion in Grossanlagen zu Wassermangel und grossen ökologischen wie auch sozialen Problemen führen könnten. Es gibt daher auch Projekte, mit denen an sonnigen Küstenregionen Wasserstoff aus dem Meer produziert werden soll. Dazu muss das Salzwasser allerdings zuerst entsalzt werden, was einen zusätzlichen Energieaufwand bedeutet – die Energieeffizienz von Wasserstoff verschlechtert sich daher zusätzlich. Zudem ist die Entsalzung von Meerwasser nicht unbedenklich: Durch sie entstehen als Überbleibsel grosse Mengen an konzentrierter Salzlauge. Schon heute erzeugen Entsalzungsanlagen weltweit jeden Tag 142 Millionen Kubikmeter davon. Denn im Mittleren Osten, in Nordafrika und auf vielen Inseln weltweit lässt sich nur so der Trinkwasserbedarf decken. Die verbleibende Salzlauge leitet man dabei wieder ins Meer zurück, wodurch der Salzgehalt sowie die Konzentration giftiger Schwermetalle im Wasser steigt und die Sauerstofflöslichkeit abnimmt. Bereits heute sind dadurch die Ökosysteme einiger Küstengebiete massiv geschädigt.

 

TROTZDEM: AUCH WASSERSTOFF HAT ZUKUNFT!

Ist die Idee der Wasserstoff-Wirtschaft zum Scheitern verurteilt? Wohl kaum. Auch in der Wissenschaft ist man sich einig, dass Wasserstoff in einigen Bereichen bald wichtiger Energieträger sein wird. Denn seine Vorteile sind klar: Er lässt sich lange Zeit, auch dezentral, speichern, ist schnell getankt, und es lassen sich grössere Energiemangen speichern als mit Akkus.

Für Flugzeuge, Busse, Langstrecken-Lastfahrzeuge oder etwa Baumaschinen wie Bagger ist Wasserstoff daher ein attraktiver Energieträger. Für die breite Masse – insbesondere für Autos, Motorräder und zum Heizen – lassen sich jedoch nach heutigem Erkenntnisstand auch in Zukunft nicht ausreichende Mengen produzieren. Es sei denn, man stellt den Klimaschutz über alles und nimmt neue, noch nie dagewesene Umweltschäden in Kauf.