Wer will denn so viele Katzen?

Nicht alle Samtpfoten haben ein liebevolles Zuhause. Unzählige Streunerkatzen leben bei uns ein unwürdiges Leben. Zeit, sich mit dem Thema Kastration auseinanderzusetzen.

Text — Karin Haenni Eichenberger

 

Laut der Stiftung für das Tier im Recht (TIR) leben in der Schweiz zwischen 100‘000 und 300‘000 herrenlose Katzen. Sie vegetieren teils krank, verletzt, aber auch unterernährt auf Bauernhöfen, Fabrikarealen, in Siedlungen und Schrebergärten vor sich hin. Eine Hauptursache dafür ist, dass zu viele Freigängerkatzen nicht kastriert sind. Und dies, obschon in der Schweizer Tierschutzverordnung ausdrücklich festgehalten ist, dass Tierhalter alles Zumutbare tun müssen, damit sich Tiere generell nicht übermässig vermehren. Zudem werden Jahr für Jahr zahllose Jungtiere ertränkt oder totgeschlagen, weil sie nicht erwünscht sind oder von den Haltern bewusst nicht kastriert werden, da sie entweder die Kosten hierfür scheuen oder ihnen die Tiere schlicht egal sind. Überzählige Tiere einfach in ein Tierheim abzuschieben, ist langfristig ebenfalls keine Lösung.

 

HÖHERE LEBENSERWARTUNG

Kastrierte Katzen haben in der Regel eine höhere Lebenserwartung als unkastrierte. Ihr Trieb, auf Partnersuche zu gehen, entfällt. Damit verringern sich auch die Gefahren, die damit einher gehen. Man denke etwa an Verletzungen bei Rivalenkämpfen, aber auch hormonelle Erkrankungen wie Gesäugetumoren oder Gebärmutterentzündungen.

DIE EXPERTIN

Esther Geisser
Präsidentin und Gründerin
von NetAP (Network for
Animal Protection)

«JEDER, DER MIT SEINER KATZE FÜR NACHWUCHS SORGT, TRÄGT EINEN ANTEIL AM KATZENELEND.»

Auch wenn man genügend Plätze für den Nachwuchs findet, so werden einige der Tiere dennoch irgendwann auf der Strasse oder im Tierheim landen, wenn sie plötzlich nicht mehr in die persönliche Lebensgestaltung passen, sei es wegen Umzug, Geburt eines Kindes, Partnerwechsel oder plötzlicher Allergie.

Katzen können bei guter Haltung über 20 werden. Der Kauf oder die Adoption eines Tieres sollte gut überlegt und ein Bund fürs Leben werden. Die nötigen finanziellen und zeitlichen Ressourcen sollten vorhanden sein, in guten wie in schlechten Zeiten.


MEHR ARTENSCHUTZ UND NATURSCHUTZ

Artenschützer könnten aufatmen, wenn sich die Katzenpopulation auf einem gesunden Level einpendeln würde, denn diese machen Katzen unter anderem für den Rückgang von diversen Vogel- und Reptilienarten verantwortlich. Zudem wäre eine Vermischung des Genpools von Hauskatzen mit der geschützten Wildkatze nicht mehr möglich.

 

ROUTINEEINGRIFF

Die Kastration gilt als ein ungefährlicher Routineeingriff. Bei einem Kater ist er einfacher als bei einem Weibchen. Er erfolgt äusserlich und der Schnitt in die Hodensäcklein zwecks Entfernen der Hödli ist so klein, dass er nicht vernäht werden muss. Bei Weibchen hingegen müssen die Eierstöcke herausgenommen werden, was einen Schnitt in die Bauchdecke erfordert. Eine kleine Öffnung, welche mit wenigen Stichen vernäht wird. Die Katzen werden selbstredend betäubt, der Eingriff ist schmerzfrei.

 

VON NULL AUF HUNDERT…

… und noch viel mehr. Gemäss dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) kann eine Kätzin ein bis zwei Mal pro Jahr zwei bis sechs Babys bekommen. Diese werden im Alter von fünf bis neun Monaten wiederum geschlechtsreif. Man rechne! Deshalb sollten junge Katzen noch vor dem ersten Freigang kastriert werden. Was genau ist eine Freigänger-Katze? Jede Katze, die regelmässig den Wohnraum verlässt und sich draussen unbeaufsichtigt rumtreibt, gilt als Freigänger. Ansonsten redet man von Wohnungskatzen.

INFO

Warum eine Kastration sinnvoll ist

Es gibt in der Schweiz mehr als genug Katzen. In Tierheimen warten sehr viele auf einen Lebensplatz, es ist daher sinnvoll, die Fortpflanzung der Tiere per Kastration zu drosseln respektive zu verhindern.

  • Kastrierte Büsi sind gleich gute Mäusefänger wie vor der Kastration.
  • Kastrierte Katzen sind untereinander friedlicher.
  • Kastrierte Tiere werden nicht dick, ausser, sie werden vom Menschen übermässig gefüttert.
  • Weibliche Katzen müssen nicht erst Nachwuchs bekommen haben, bevor man sie kastriert. Am besten erfolgt der Eingriff im Alter von fünf bis sechs Monaten.
  • Unkastrierte Katzen und Kater in der Wohnung zu halten, stinkt den Haltern wegen des fleissigen Markierens schnell einmal.
  • Kastration beeinträchtigt nicht die Würde des Tieres.


NÖTIGE BESTANDESREGULIERUNG

Die Nichtkastration ist also äusserst problematisch. Die Kastration von Freigängern allerdings gilt als eine verhältnismässige Massnahme, um einen weiteren Anstieg der Streunerpopulation zu vermeiden, Katzenleid zu verringern und den Katzenbestand in der Schweiz nachhaltig zu regulieren.

 

UNGENÜGENDE RECHTSVORSCHRIFTEN

Die aktuell geltenden Rechtsvorschriften greifen zu kurz. Aus diesem Grund forderten die Tierschutzorganisationen Network for Animal Protection (NetAP) und Tier im Recht (TIR) 2018 mit einer Petition die Schaffung einer schweizweit geltenden Regelung, die sämtliche Halter von Freigänger-Katzen verpflichtet, diese von einem Tierarzt kastrieren zu lassen. Der bestehende, im ersten Abschnitt kurz erwähnte Gesetzestext, dass Tierhalter alle zumutbaren Massnahmen treffen müssen, um eine übermässige Vermehrung zu verhindern (Art. 25 Abs. 4 TSchV), sollte gemäss den Petitionären ergänzt werden durch folgenden Wortlaut: «Hauskatzen mit unkontrolliertem Freigang sind von einem Tierarzt kastrieren zu lassen.» Die Petition – von über 150 Tierschutzorganisationen mitgetragen – wurde im Juni 2018 dem Parlament in Bern überreicht. Traurig, aber wahr: Das Parlament lehnte eine Kastrationspflicht ab. Sowohl National- und Ständerat haben sich gegen die Annahme der Petition ausgesprochen. Die Tierschutzorganisationen geben nicht so schnell auf. Esther Geisser von NetAP schliesst die Lancierung einer Volksinitiative für die Einführung der Kastrationspflicht gemäss eines NZZ-Zeitungsartikels vom April 2020 jedenfalls nicht aus.

 

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