Kernenergie: Wird in Zukunft alles besser?
Totgesagte leben länger: Kernfusion und neue Kernreaktoren bleiben wichtige Forschungsgebiete – heute erst recht.
Text — Raphael Hegglin
Die Sonne ist unsere wichtigste Energiequelle. Pro Jahr strahlt sie die unfassbare Zahl von etwa 1’500'000'000'000'000'000 kWh (1,5 Trillionen kWh) Energie auf die Erde. Könnten wir nur einen Zehntausendstel davon als Elektrizität nutzen, wären die Energie- und Klimaprobleme wohl auf der ganzen Welt gelöst. In Realität ist das schwierig, da Photovoltaik tageszeitlichen und wetterbedingten Schwankungen unterliegt und selten grössere Wirkungsgrade als 20 % erzielt. Warum also nicht eine kleine Sonne selbst herstellen, um sie als potente, umweltfreundliche und stets einsatzbereite Energiequelle zu nutzen?
AUS MATERIE WIRD ENERGIE
Was im ersten Moment abwegig klingt, an dem forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf der ganzen Welt seit über 60 Jahren. Mittels Kernfusion sollen dereinst in Reaktoren leichte Atomkerne zu schwereren verschmelzen. In der Regel geschieht dies, indem zwei Wasserstoffatome zu einem Heliumatom verschmelzen – genau wie in unserer Sonne und allen anderen Sternen. Das neu entstandene
Helium-Atom ist nicht so schwer wie die zwei Wasserstoff-Atome zusammen, aus denen es entstanden ist: Bei der Kernfusion wird daher Materie in Energie umgewandelt – und zwar in enormen Mengen.
WENIG RADIOAKTIVER ABFALL
Kernfusion zählt zu den Kernenergien. Im Gegensatz zur Kernspaltung – wie wir sie aus Kernkraftwerken kennen – fällt bei der Kernfusion jedoch wenig radioaktiver Abfall an, der erst noch deutlich schwächer strahlt.
Laut dem Max-Planck-Institut für Plasmaphysik wird ein Fusionskraftwerkt in seiner 30-jährigen Laufzeit mehrere hundert Tonnen radioaktives Materials erzeugen, das rasch an Radioaktivität verliert. Nach etwa 100 Jahren wird dessen Strahlung etwa um das Zehntausendfache abgenommen
haben und für Mensch sowie Umwelt ungefährlich sein.
INFO
KERNKRAFT: BETRIEB UND FORSCHUNG GEHEN WEITER
Mit der Energiestrategie 2050 hat die Schweiz den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen. Unsere Kernkraftwerke dürfen aber noch bis zum Ende ihrer Lebensdauer – also noch Jahrzehnte – betrieben werden. Anders zum Beispiel Deutschland: Dort hat man den Ausstieg forciert und funktionierende Kernkraftwerke stillgelegt. Die verbleibenden drei müssen spätestens 2023 vom Netz gehen. Andere Länder, darunter Japan, Schweden und Frankreich, haben ihre Ausstiegspläne hingegen begraben und setzen weiterhin auf Kernkraftwerke, von denen sie sogar neue, solche der dritten Generation, bauen. Intensiv geforscht wird zudem an der vierten Generation von Kernreaktoren. Diese sollen sicher vor schweren Reaktorschäden, Bränden und Terroranschlägen sein. So ist bei Flüssigsalz-Reaktoren eine Kernschmelze aufgrund ihres Funktionsprinzips nicht mehr möglich. Andere Konzepte setzen auf Minireaktoren oder solche, die nicht mit herkömmlichen Brennstäben, sondern mit dem Atommüll ihrer Vorgänger arbeiten – und somit die die Gesamtmenge an Atommüll reduzieren würden. So vielversprechend diese Technologien sind: Heute lässt sich nicht abschätzen, ob und wann sie eingesetzt werden können.
LANGER WEG BIS ZUM FUSIONS-KRAFTWERK
Liegt in der Kernfusion also die Lösung all unserer Energieprobleme? Die Frage ist leider müssig: Momentan ist man weit davon entfernt, Kernfusion als Energiequelle nutzen zu können. Zwar gelingt es in Versuchsreaktoren, Wasserstoffatome in Heliumatome zu verschmelzen. Die dafür notwendige Energie übersteigt jedoch die gewonnene bei weitem. Das liegt unter anderem daran, dass die Kernfusion kontrolliert bzw. stark verlangsamt ablaufen muss – ein Prozess, der sich noch in der Entwicklungsphase befindet.
Expertinnen und Experten rechnen mit mehreren Jahrzehnten weiterer Forschung, ein Durchbruch in den nächsten Jahren scheint ausgeschlossen. Trotzdem investieren zahlreiche Länder wie die USA, Frankreich oder China hohe Summen in die Fusionsforschung. Zu verlockend ist die Aussicht auf fast unbegrenzte Menge klimafreundliche Elektrizität.