Mobilität: Wie geht es künftig vorwärts?
Die Bevölkerung wächst, die Zahl der Fahrzeuge nimmt stetig zu und die Menschen pendeln und reisen wie nie zuvor. Damit unser Verkehrssystem nicht kollabiert, braucht es neue Konzepte und Fortbewegungsmittel.
Text — Raphael Hegglin
Stillstand auf den Schweizer Strassen: Seit den 1990er-Jahren hat sich die Staumenge hierzulande beinahe verfünfzigfacht. Rund 40’000 Stunden lang waren unsere Nationalstrassen letztes Jahr blockiert, 1994 waren es gerade einmal 850 Stunden. Auf den Kantons- und Gemeindestrassen dürfte es in etwa gleich aussehen, verlässliche Statistiken dazu fehlen jedoch.
Der öffentliche Verkehr hat zu Stosszeiten ebenfalls mit Kapazitätsproblemen zu kämpfen, die wichtigsten Pendler-Linien sind oft überlastet. Denn heute befördern die SBB rund doppelt so viele Passagiere wie vor 20 Jahren. Trotz vollgestopften Zügen und S-Bahnen ist der öffentliche Verkehr jedoch pünktlich geblieben: Im Jahr 2022 kamen 92,5 % der SBB-Personenzüge rechtzeitig an. Das ist weltweit Spitzenklasse.
VERKEHR SOLL WEITER ZUNEHMEN
Bezogen auf die Weglänge (Kilometer pro Person) transportiert der öffentliche Verkehr hierzulande gerade einmal 20 % aller Personen – mit einem Anteil von 75 % dominiert das Auto den Personenverkehr: In der Schweiz sind mittlerweile mehr als 6,6 Millionen Motorfahrzeuge eingelöst, 4,7 Millionen davon sind Autos.
Der oft propagierte Umstieg von der Strasse auf die Schiene wirft daher Fragen auf. Denn selbst wenn sich die Kapazität des öffentlichen Verkehrs verdoppeln würde, bliebe das Auto Verkehrsmittel Nummer 1. Gleichzeitig scheint klar, dass der heute eingeschlagne Weg in eine Sackgasse führt – oder je nach Region bereits geführt hat. Laut Eidgenössischem Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK wird der Verkehr zudem weiter wachsen. In den «Verkehrsperspektiven 2050» geht man davon aus, dass der Personenverkehr bis 2050 mindestens um weitere 11 % zunehmen wird, der Güterverkehr sogar um 31 %.
OHNE NEUE KONZEPTE GEHT ES NICHT
Wäre jedes Auto auf unseren Strassen voll besetzt, würde sich allein dadurch die Verkehrsmenge um 75 % reduzieren. Wir nutzen unser Strassennetz also alles andere als effizient, ausbauen lässt sich dieses jedoch nur noch begrenzt – vielerorts sind dafür keine Flächen mehr vorhanden. Hinzu kommt die hohe Umweltbelastung, deren Ursachen nicht nur der Verbrennungsmotor, sondern ebenso der inneffiziente Einsatz von Autos ist (siehe Infobox «Der Preis unserer Mobilität»).
Um unsere Mobilität in Zukunft gewährleisten zu können, müssen Verkehrsmittel sowohl umweltverträglicher werden als auch deutlich besser ausgelastet sein. Dazu existieren verschiedene Mobilitätskonzepte. Einige davon verbessern die Antriebseffizienz und die Umweltverträglichkeit von Fahrzeugen, andere ermöglichen es, die Kapazität auf Strasse und Schiene zu erhöhen. In der Mobilitätsforschung ist man sich einig, dass nur ein Zusammenspiel verschiedener Konzepte bzw. Massnahmen zielführend sein wird. Das sind momentan die erfolgversprechendsten:
> UMSTIEG AUF ELEKTROMOTOREN
Elektrofahrzeuge verursachen – wenn sie mit Strom aus erneuerbarer Energie fahren – keine schädlichen Emissionen. Zudem arbeiten Elektromotoren deutlich effizienter als Wärmekraftmaschinen wie etwa Verbrennungsmotoren: Ein Elektroauto verbraucht heute für dieselbe Strecke zwei- bis viermal weniger Energie als eines mit Benzinmotor (siehe «Elektro- und Verbrennungsmotor im Vergleich»). Elektrofahrzeuge können zudem eine wichtige Rolle bei der Stromspeicherung spielen. Im intelligenten Stromnetz (Smart-Grid) nehmen sie temporär überschüssigen Strom auf und geben ihn bei Bedarf wieder ab.
Lärm ist ein weiteres Problem, das der motorisierte Verkehr verursacht. In der Schweiz sind etwa 1,1 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner täglich zu hohen Lärmwerten ausgesetzt – mit negativen Folgen für die Gesundheit. Durch einen Umstieg auf Elektrofahrzeuge liesse sich dieses Problem grösstenteils lösen.
> NEUE FAHRZEUGKONZEPTE
Platzsparende Fahrzeuge bedeuten weniger Flächen- und Ressourcenverbrauch – und mehr Park-raum. Bereits gibt es Prototypen wie der Hiriko Fold oder der Citytransformer, die sich fürs Einparken 40 % kleiner machen lassen. Ein weiterer Prototyp, der City Car, lässt sich nach dem Falten sogar stapeln und ist damit noch platzsparender. Der EO Smart Connecting Car wiederum kann im Fahren an Fahrzeuge des gleichen Modells andocken und so eine Kette bilden. Der Energieverbrauch sinkt dadurch genauso wie der Platzverbrauch auf der Strasse.
Modulare Fahrzeuge wie der Rinspeed Snap oder die Toyota e-Palette sind ein weiterer, vielversprechender Ansatz. Sie lassen sich je nach Bedarf als Transportfahrzeug oder für den Personenverkehr nutzen. Dank ihrer Multifunktionalität können sie die Aufgaben mehrerer Fahrzeugtypen übernehmen, womit unter dem Strich weniger Fahrzeuge erforderlich sind – die graue Energie einer Fahrzeugflotte verringert sich dadurch.
> MIKROMOBILITÄT FÜR KURZE STRECKEN
E-Scooter, E-Roller und ähnliche Kleinfahrzeuge werden bereits heute zahlreich eingesetzt, um kurze Strecken zu bewältigen. Dies kann den motorisierten Verkehr entlasten und einen positiven Effekt auf die Umwelt haben. Allerdings: Untersuchungen zeigen, dass dieser Effekt heute oft ausbleibt. Denn ersetzen E-Trotti & Co das Gehen zu Fuss oder das Velo, dann erhöhen sie den Energieverbrauch für Mobilität zusätzlich und sind erst noch schlecht für die Gesundheit, da sich die Menschen weniger bewegen. Ebenfalls lohnen sich Mikromobile aus ökologischer Sicht nur, wenn sie oft gebraucht werden und einen langen Lebenszyklus aufweisen. Letzteres ist bei Mietfahrzeugen teilweise zu wenig der Fall, sie gehen oft frühzeitig kaputt oder fallen Vandalismus zum Opfer.
Mikromobile lassen sich deutlich öfter verwenden, wenn sie Allwetter-tauglich sind. Etwas, das bei den heute verfügbaren Modellen selten der Fall ist. Doch es gibt Prototypen und sogar bereits einige serienreife Kleistfahrzeuge, die sich auch bei Regen und im Winter uneingeschränkt nutzen lassen. Das Potenzial liegt hier vor allem bei Kabinenrollern und -bikes wie zum Beispiel der Elio von Eliomotors oder das Ducenti-Bike.
INFO
DER PREIS UNSERER MOBILITÄT
Etwa 200’000 Stunden Verspätung häufen sich jeden Tag auf den Schweizer Strassen an, weil Autos und Lastwagen feststecken oder nur langsam vorwärtskommen. Der damit verbundene wirtschaftliche Schaden beziffert das Bundesamt für Raumentwicklung auf über drei Milliarden Franken pro Jahr. Noch grösser ist der Schaden, der unsere Mobilität an der Umwelt und unserer Gesundheit verursacht: Laut Bund soll er jährlich etwa 6 Milliarden Franken betragen.
Die Mobilität verbrauchte letztes Jahr rund 36 % der Schweizer Energie und ist damit die grösste Verbrauchsgruppe, noch vor den Haushalten und der Industrie. Ebenfalls gehen 38 % des CO2-Ausstosses auf das Konto von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor (internationaler Luftverkehr nicht einberechnet).
Der Flächenverbrauch unseres Strassen- und Schienennetzes beträgt fast 1000 km2, das ist mehr als der Kanton Thurgau misst.
> AUTONOMES FAHREN
Autonome Fahrzeuge können ihren Fahrstil optimieren und an unterschiedliche Situationen anpassen, was deren Energieverbrauch deutlich reduziert. Künstliche Intelligenz ermöglicht es zudem, dass autonome Fahrzeuge miteinander kommunizieren und Fahrmanöver wie Abbiegen oder Spurwechsel vorher ankündigen. Das führt zu einem koordinierten Verkehrsfluss und zu weniger Staus. Da autonome Fahrzeuge weder müde noch unachtsam werden können, reduziert sich auch die Zahl der Unfälle, was nicht nur Leben rettet, sondern ebenfalls Staus verhindert. Autonomes Fahren ist in den vergangenen Monaten weit fortgeschritten: Seit dem 11. August 2023 sind in San Francisco sowie im Silicon Valley autonome Robotaxis ohne menschlichen Fahrer unterwegs und dürfen Kunden selbständig chauffieren. Mit Waymo und Cruise sind zunächst zwei Anbieter unterwegs. Weitere, etwa die Amazon-Tochter Zoox, werden laut eigenen Angaben bald folgen.
> DIGITALISIERUNG UND KONNEKTIVITÄT
Alle Fahrzeuge und Verkehrsteilnehmer werden Teil des Internet of Things (IOT), sind also vernetzt miteinander. Gesteuert werden sie mittels einer zentralen künstlichen Intelligenz. So lassen sich Verkehrsflüsse noch weiter optimieren und Staus verhindern: Das Programm errechnet nicht nur, wie man möglichst schnell von A nach B gelangt, sondern auch, welche Route aus energetischer Sicht die beste ist. Im Gegensatz zum autonomen Fahren, wo jedes Fahrzeug in erster Linie für sich selbst «denkt» und nur mit den unmittelbar nahen Verkehrsteilnehmern kommunizieren kann, steuert hier also ein übergeordnetes System den gesamten Verkehr – im ganzen Land oder gar länderübergreifend.
Der Nutzen dieses Systems ist unbestritten. Doch wecken solche Pläne auch Ängste: Menschen lassen sich so fast vollständig überwachen, ein Missbrauch könnte katastrophale Folgen haben. Zuerst müssen bei diesem Konzept also rechtliche und ethische Fragen sowie die Aspekte der Datensicherheit geklärt sein.
> MULTIMODALE MOBILITÄT
Multimodale Mobilität integriert verschiedene Verkehrsmittel und -dienste in ein System bzw. in eine App. So lässt sich eine Strecke von A nach B vollständig planen und mittels nur einer Rechnung bezahlen. Zum Beispiel muss jemand von seinem Haus am Stadtrand von Basel zu einer Adresse im Zentrum von Bern gelangen. Ein multimodaler Fahrdienst zieht in die Streckenplanung alle möglichen Verkehrsmittel mit ein, vom eigenen Auto über Zug und Tram hin zu Fahrzeugen der Mikromobilität oder Taxis. Man kann dann die schnellste, die günstigste oder die Variante mit dem besten Kosten-Zeit-Verhältnis wählen.
Multimodale Mobilität beschränkt sich also nicht auf öffentliche Verkehrsmittel, sondern berücksichtigt bei der Routenplanung ebenso eigene Fahrzeuge und private Fahrdienste. Zudem liefert das System in Echtzeit Informationen über den Verkehr, die Verfügbarkeit von Verkehrsmitteln und Fahrplanänderungen. Routen lassen sich auch nach Beginn der Reise noch ändern und optimieren.
> GETEILTE MOBILITÄT
Bei Shared Mobility, geteilter Mobilität, teilen sich mehrere Personen ein Verkehrsmittel. Dadurch müssen weniger Fahrzeuge produziert werden, wodurch sich grosse Mengen an grauer Energie einsparen lassen. Denn: In einem VW Golf steckt etwa so viel graue Energie wie im Benzin, das er für 45'000 Fahrkilometer benötigt. Jedes eingesparte Fahrzeug bedeutet also eine Menge an Energieersparnis. Das in der Schweiz bekannteste Beispiel für geteilte Mobilität ist das Carsharing-Unternehmen Mobility. Daneben gibt es zahlreiche Angebote für Bike-Sharing und das Teilen von Mikromobilen wie E-Scooter.
Ridesharing ist ein weiterer Ansatz: Über eine App können Autofahrende – allenfalls gegen Bezahlung – Mitfahrgelegenheiten anbieten, ebenfalls lassen sich Fahrgemeinschaften organisieren und so Strecken gemeinsam zurücklegen. Wichtig beim Ridesharing ist der umfassende Service des Anbieters. Teilnehmende müssen rechtlich und versicherungstechnisch abgesichert sein; ein Bewertungssystem und allenfalls ein personenbezogener Hintergrundcheck erhöhen die Sicherheit und schützen vor Kriminalität.
> HIGHSPEED-ZÜGE
So futuristisch es klingt, die Idee ist alt: Bereits um 1909 veröffentlichte der amerikanische Physiker Robert H. Goddard Pläne für den Vactrain, einen Vakuumzug. Dieser fährt in einer Röhre, in der Unterdruck oder gar ein Vakuum herrscht, womit kein bzw. nur geringer Luftwiderstand auftritt. Später wurde dieses Konzept dadurch ergänzt, dass die Züge nicht auf Rädern fahren, sondern mittels magnetischer Levitation schweben sollen. So wird Rollwiderstand vermieden und es lässt sich – theoretisch – fast Schallgeschwindigkeit erreichen (1235 km/h).
Highspeed-Züge benötigen deutlich weniger Energie als Flugzeuge und haben viel grössere Transportkapazitäten. Sie könnten dereinst Städte miteinander verbinden und den Flugverkehr teilweise ersetzen. Das Projekt «Swissmetro» war weltweit eines der am fortgeschrittensten, wurde aber 2009 eingestellt; der Verein Swiss Metro fördert das Projekt als Idee jedoch weiterhin. Ähnliche Pläne wie die Swissmetro hat der Unternehmer Elon Musk mit seinem Hyperloop. Nach unbemannten Testfahrten ist es am 8. November 2020 erstmal gelungen, eine Fahrt mit Passagieren durchzuführen. Die Kapsel bewegte sich dabei mit einer Geschwindigkeit von 172 km/h durch eine 500 m lange Teströhre in Las Vegas.
> ELEKTRISCHE LUFTFAHRT
Elektrifizierung könnte Fliegen umweltfreundlicher machen. Mittlerweile gibt es mehrere Prototypen elektrischer Flugzeuge, die emissionsfrei fliegen – immer vorausgesetzt, der dazu benötigte Strom wird durch erneuerbare Energie erzeugt. Geforscht wird auch an Hybrid-Flugzeugen, die mit Elektro- und konventionellen Antrieben ausgestattet sind. Der Wasserstoffantrieb ist für die Luftfahrt ebenfalls interessant. Dabei erzeugen Brennstoffzellen aus Wasserstoff Strom, der das Flugzeug antreibt.
Doch nicht nur der Antrieb steht im Fokus: Fortschritte in der Materialwissenschaft und der Aerodynamik ermöglichen es, leichtere und energieeffizientere Flugzeuge zu konstruieren. Einige Unternehmen entwickeln zudem stratosphärische Ballons, die sich für Passagiertransporte über lange Strecken eignen. Solche Ballons benötigen nur einen Bruchteil der Energie von Flugzeugen und könnten Fliegen besonders umweltverträglich machen.