Minimalismus: Weniger ist mehr

Immer mehr Menschen interessieren sich für einen minimalistischen Lebensstil – vor allem, wenn es dabei ums Wohnen geht. Was ist dran am Trend?

Text — Tanja Seufert


 

ÜBERFLUSS UND REIZÜBERFLUTUNG

Jeder Mensch in Westeuropa besitzt durchschnittlich 10‘000 Dinge, von der Computermaus über den Reiskocher bis zu den Winterstiefeln. Und dann gibt es Menschen, die sich auf 100 oder 200 Sachen beschränken – jede Büroklammer mitgezählt. Solche Minimalisten leben den Extremfall und zeigen lediglich auf, was möglich wäre. Die allermeisten Leute wären schon glücklich, ihren Besitz um die Hälfte zu reduzieren. Aber wieso eigentlich? Warum macht es uns glücklich, wenn wir weniger haben? Der Minimalismus kennt die Antworten. Er ist eine immer grösser werdende Bewegung in einer Welt des Überflusses und der Reizüberflutung.

Foto: New Africa/Fotolia.com

Wenige Dinge statt viele Ablenkungen sind gerade im Kinderzimmer eine Wohltat.

BEDÜRFNIS NACH KLARHEIT

«Gerade wenn Unordnung herrscht oder wir nicht zum Saubermachen kommen, fühlen wir uns schnell von unserem Besitz überwältigt, eingeengt und belastet», schreibt Lina Jachmann in ihrem Buch «Einfach leben» (siehe Buchtipp). «Was Minimalisten vereint, ist das Bedürfnis nach Klarheit.» Ein einfacher Lebensstil helfe dabei, den Überblick über das Leben zu bekommen und Entscheidungen gezielter, schneller und besser zu treffen. Denn: «Mit weniger Dingen, die uns umgeben und belasten, entfallen Möglichkeiten.»

TIPP

MINIMALISMUS NEXT LEVEL

Wer seinen Besitz reduziert, kauft automatisch bewusster ein. Schliesslich erhalten nur noch Lieblingsstücke Einlass in den minimalistischen Haushalt. Ob Kleidung, Möbel oder Lebensmittel: Gefragt sind hochwertige, fair und ökologisch produzierte Waren.

Viele Minimalisten gehen mit der Zeit auch dazu über, weniger Abfall zu produzieren. Es muss nicht gleich «Zero Waste» sein – doch wer sich aufs Wesentliche beschränkt, schärft damit auch seinen Blick auf andere Lebensbereiche.

Eine Möglichkeit, um Besitztümer zu reduzieren und gleichzeitig nachhaltiger zu leben, ist Teilen respektive Tauschen statt Kaufen.

MINIMALISMUS HEISST ENTRÜMPELN

Zu viele Dinge blockieren uns. Sie machen uns unbeweglich, mental und auch physisch – das merkt man spätestens bei einem Umzug. Allerdings nicht alle Dinge. Es gibt Sachen, die wir häufig benutzen. Und es gibt solche, die zwar nicht benutzt, aber geliebt werden. Und auf genau diese zwei Kategorien beschränken sich Minimalisten: auf Dinge, die sie brauchen, und auf Dinge, die sie glücklich machen. So einfach ist das.

CHECKLISTE

ENTRÜMPELN: WAS KANN WEG?

Die ersten Schritte für angehende Minimalisten

KLEIDERSCHRANK:
Alles, was kaputt ist oder nicht passt. Alles, was man seit einem Jahr nicht mehr getragen hat. Unbequeme Schuhe (auch wenn sie fabelhaft aussehen). Ein guter Anhaltspunkt ist der Wäschekorb: Ein Kleidungsstück, das häufig dort landet, ist ein Liebling.

WOHNZIMMER: Alle Bücher, DVDs, CDs und Games, die wir nicht mehr benutzen oder lieben. Deko, die beim Betrachten kein Glücksgefühl auslöst. Das Klavier, das nicht mehr gespielt wird.

 

KÜCHE: Das «gute Geschirr». Die Mikrowelle. Ein Tassen-, Teller- und Bestecklager, «falls mal viel Besuch kommt» (dafür gibt’s Nachbarn oder kompostierbares Einweg-Geschirr). Elektrogeräte, die man kaum oder nie benutzt. Glaswaren und Textilien en masse. Abgelaufene Vorräte.

 

BAD: Mehrere Dusch- gels und Shampoos (maximal 2, falls Mann und Frau unterschied- liche Düfte bevorzugen). Mehr als 1 grosses Badetuch (Strandtuch) pro Person. Unan- sehnliche Handtücher. Überzählige elektronische Geräte
wie Rasierer und Föhn. Altes Make-up. Abgelaufene Medikamente.

KLEIDER AUSMISTEN

Wer seinen Besitz reduzieren möchte, startet am besten bei den Kleidern. Wie auch die japanische Aufräum-Expertin Marie Kondo in ihrem Bestseller «Magic Cleaning» empfiehlt, legt man am besten alle – wirklich alle! – Kleidungsstücke einer Kategorie auf einen Haufen, zum Beispiel alle Hosen. Die meisten werden staunen, wie unglaublich viele Klamotten sie besitzen. Wie kann es sein, dass man trotzdem morgens vor dem Schrank steht und nichts anzuziehen findet? Es ist die schiere Überforderung. Und weil uns, Hand aufs Herz, längst nicht alles passt, was sich im Kleiderschrank befindet. Das Ziel dieser Übung ist ein Kleiderschrank mit wenigen ausgewählten Klamotten, die wir lieben und brauchen – in denen wir uns wohlfühlen und umwerfend aussehen.

Foto: jnyemb/flickr

Im Bad beschränkt man sich auf eine Handvoll hochwertige Produkte und Utensilien.

LIEBLINGSSTÜCKE WÄHLEN

Der vielleicht wichtigste Aufräumtipp ist der: Man sollte die Lieblinge heraussuchen. Es fühlt sich anders an, als einfach das «Schlechte» auszusortieren. Die positive Auswahl ist einfacher und macht mehr Spass. Eigentlich sollte es nicht «ausmisten» heissen, sondern «auslesen». Hilfreich ist auch die 20-20-Regel: Alles, was in 20 Minuten und mit weniger als 20 Franken ersetzt werden kann, darf gehen. Und die Ein Jahres-Regel: Alles, was ein Jahr nicht benutzt worden ist, wird auch in Zukunft nicht vermisst werden. Alles aussortiert? Dann sollte man jetzt nicht den Fehler begehen, ein Zwischenlager im Keller einzurichten – sondern die Gegenstände zügig entsorgen, spenden oder verkaufen.

 

WEITERE INFORMATIONEN

Filmtipps:

  «Minimalism – A Documentary About the Important Things » auf
   Netflix (Englisch mit deutschen Untertiteln) oder über theminimalists.com

 


 

  «My Stuff – Was brauchst Du wirklich? Ein Selbstexperiment voll finnischem
  Humor», auf DVD im Handel bzw. On Demand erhältlich.

 

 

 

Buchtipps:

  • Lina Jachmann, Einfach leben – der Guide für einen minimalistischen Lebensstil, Verlag Knesebeck
  • Fumio Sasaki, Das kann doch weg! 55 Tipps für einen minimalistischen Lebensstil, Verlag Integral